BUNDESTAGSWAHL 2013: INTERVIEW – GREGOR GYSI

© FOTO: DIE LINKE IM BUNDESTAG

Das Team der blu Mediengruppe hat sich mit Spitzenpolitikern der Parteien getroffen und sie zu homosexuellen Forderungen befragt. In der Septemberausgabe findest du sie in geballter Form und wir hoffen, dir mit unserem Wahlspezial ein wenig Entscheidungshilfe für die Wahl am 22. September zu bieten. Hier unser Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke, Gregor Gysi, welches wir in seinem Bundestagsbüro führten.

EIGENTLICH HÄTTE ICH MICH ZU HOMOPOLITISCHEN FRAGEN JA SEHR GUT MIT BARBARA HÖLL TREFFEN KÖNNEN, DIE FÜR DIE LINKE IM BUNDESTAG DIESBEZÜGLICH HERVORRAGENDE ARBEIT GELEISTET HAT. NUN IST BARBARA HÖLL DURCH IHREN LANDESVERBAND ALLES ANDERE ALS SICHER IM NÄCHSTEN BUNDESTAG VERTRETEN. KÖNNEN SIE MIR SAGEN, WER DIE LÜCKE FÜLLEN WIRD?

Da ich einen sehr engagierten Wahlkampf führe, auch in Sachsen, bleibe ich optimistisch, dass Barbara Höll es in den Bundestag schafft. Sollte es wider Erwarten nicht klappen, werden wir sicher eine oder einen anderen finden, die oder der das Thema besetzt – unabhängig davon wird Homopolitik aber auch immer mich ganz persönlich bewegen.

WIE KAM ES DAZU, DASS SIE EINEN SO ENGAGIERTEN ZUGANG ZUM THEMA HABEN?

Das liegt an einer Begebenheit, die mir noch zu DDR-Zeiten passiert ist. Zwei lesbische Frauen sind zu mir gekommen und fragten, ob ich vor einer Gruppe Homosexueller sprechen könnte. Hintergrund war der, dass die beiden sich an die SED-Bezirksleitung in Berlin gewendet hatten mit Fragen zur Verfolgung Homosexueller zur Nazizeit, mit Fragen zum Steuerrecht und so weiter. Die SED hatte sich für nicht zuständig erklärt und die beiden zur evangelischen Kirche geschickt, die sich nun als überhaupt nicht zuständig sah, aber immerhin einen Raum zur Verfügung stellen wollte. Daraufhin sind die beiden, warum auch immer, zu mir in die Kanzlei gekommen und haben mich um einen Vortrag zu diesem Themenkomplex gebeten. Ich habe das zugesagt, mich gründlich vorbereitet und einen Vortrag gehalten, der der Vortrag mit dem meisten Applaus meines Lebens wurde. Zwei Sachen habe ich aus dieser Begebenheit mitgenommen. Erstens: Wenn Frauen sich etwas in den Kopf setzen, ziehen sie es konsequent durch. Da können wir Männer uns zwei, drei Scheiben abschneiden. Zweitens ist mir durch das Einlesen in die Materie bewusst geworden, welche unglaubliche Benachteiligung Homosexuelle erlitten. Ich bin zwar diesbezüglich von meinen Eltern zur Toleranz erzogen worden, aber das bedeutet ja noch nicht, dass man versteht, was es heißt lesbisch oder schwul zu sein und welche Historie der Verfolgung und Diskriminierung dann auf einem lastet. Nach diesem Vorfall habe ich mich auch beruflich als Rechtsanwalt mit diesen Themen intensiver beschäftigt.

WAS IN DER DDR ETWAS WENIGER KONTROVERS WAR ALS IN DER BRD …

Ja, was auch bei der Einheit zu einer interessanten rechtlichen Situation führte. Ich war nicht dabei, aber als Kohl und de Maizière verhandelten, war es in der BRD erwachsenen Männern verboten, Sex mit Jugendlichen zu haben, in der DDR war dies erlaubt, in dem Rahmen, in dem das auch Heterosexuellen erlaubt war. Da Kohl aber kein DDR-Recht übernehmen wollte und man schlecht den DDR-Bürgern sagen konnte, dass Legales nun plötzlich wieder illegal werden soll, gab es nach dem 3. Oktober 1990 zwei Strafrechte. Zwischen Erfurt und Erlangen mag das nicht so aufgefallen sein, aber in Berlin war es absurd! In Friedrichshain war erlaubt, was in Kreuzberg als kriminell galt. Völliger Blödsinn, der dann erst drei Jahre später klammheimlich überwunden wurde. Im Sinne des DDR-Rechts übrigens.

2001 WURDE DIE LEBENSPARTNERSCHAFT EINGEFÜHRT. IHRE FRAKTION HAT SICH DAMALS ENTHALTEN …

… was in der Nachbetrachtung ein Fehler war. Zwei lesbische Kolleginnen wollten auf keinen Fall zustimmen, da wichtige Dinge wie das Adoptionsrecht fehlten. Der Kompromiss war eine Enthaltung. Man muss, wenn es sich um einen Türöffner handelt, zustimmen, weil die Tür dadurch nicht wieder zufällt, sondern sich immer weiter öffnet, was wir nach der Einführung der Lebenspartnerschaft eindrücklich in den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und beim Verfassungsgericht erlebt haben. Das Gleiche galt zuletzt auch für die geplante erste gesetzliche Frauenquote, die so an sich nicht viel bringt, aber etwas angestoßen hätte.

DIE LINKE HAT ZWAR IM WAHLPROGRAMM DIE ÖFFNUNG DER EHE FESTGESCHRIEBEN, WILL ABER AUCH ANDERE FORMEN DES ZUSAMMENLEBENS STAATLICH FÖRDERN. WARUM?

Sehen Sie, das ist so etwas, das mir auch mit dem Alter immer bewusster wird. Warum muss sich der Staat denn in solche Dinge wie das Zusammenleben einmischen? Warum muss es vorgeschrieben werden, in welcher Form Menschen ihr Zusammenleben organisieren? Der Staat hat sich meiner Meinung nach nur dann einzumischen, wenn es um den Schutz Dritter geht. Und der Staat hat zu respektieren, wie seine Bürger ihr Privatleben organisieren, und hat nicht die Aufgabe, moralische Anforderungen an bestimmte Formen solchen Zusammenlebens zu stellen. Deshalb fordern wir auch zunächst parallel die Öffnung der Ehe, weil es ungerecht ist, die damit verbundenen Vorteile nur Heterosexuellen zu gewähren.

SIE WOLLEN ABER „VORTEILE“ WIE DAS EHEGATTENSPLITTING ABSCHAFFEN. WIE ERKLÄREN SIE DAS MENSCHEN, DIE DADURCH ERHEBLICH FINANZIELL BELASTET WÜRDEN, WENN ZUM BEISPIEL DER EINE PARTNER SOZIAL SCHWACH IST BZW. ALLEINE AUF STAATLICHE UNTERSTÜTZUNG ANGEWIESEN WÄRE?

Die Abschaffung des Ehegattensplittings darf natürlich nicht zulasten von Gering- oder Durchschnittsverdienern gehen. Wird sie mit uns auch nicht, weil Maßnahmen wie sanktionsfreie Grundsicherung, höhere Steuerfreibeträge und eine Abschmelzung des Steuerbauchs bei Normalverdienern ausgleichend und sogar einnahmeverbessernd zum Programm gehören. Natürlich muss aber auch gesagt werden, dass sich die Einnahmesituation des Staates durch diese Maßnahmen nicht verschlechtern darf, gerade auch im Einkommenssteuerbereich, weil diese Steuer auch den Kommunen zugutekommt und die ja nun gebeutelt genug sind. Darum wird es mit uns auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Spitzenverdiener geben.

EINE LETZTE FRAGE: DIE LINKE FORDERT AUCH EINE AUFNAHME DER SEXUELLEN IDENTITÄT INS GRUNDGESETZ – STICHWORT ARTIKEL 3. WARUM?

Weil dies wieder so ein Türöffner ist. Einmal ins Grundgesetz aufgenommen, wird es dann zivilrechtlich seinen Weg nehmen und im Mietrecht, im Arbeitsrecht, im Medienrecht und so weiter Schritt für Schritt zu einer diskriminierungsfreieren Gesellschaft führen.

•Interview: Christian Knuth

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