KOMMENTAR – 100 PROZENT MINUS X

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Tja, würde ein mir gut bekannter und geschätzter Abgeordneter wohl jetzt kommentieren. Leider kann Johannes Kahrs dies so nicht, denn er versucht genauso wie der Rest der Führungsmannschaft der SPD, die gefunden Minimalkompromisse mit der CDU/CSU zu verteidigen.

Noch steht das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids aus, aber es zeichnete sich doch dank Mindestlohn und Rentengeschenken eine Zustimmung der Basis ab. Und nun? Tja. Verpartnerte Homosexuelle dürfen sich darauf freuen, dass alle gesetzlichen Ungleichbehandlungen zur Ehe (es sind noch rund 100 Gesetze zu ändern, in denen die EP benachteiligt ist) eventuell beseitigt werden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte ein diesbezügliches Bereinigungsgesetz übrigens in der Schublade – vielleicht kann ihr Nachfolger im Justizministerium ja einfach mal nachschauen. Dies wäre ein Erfolg, denn es wäre schon weit mehr, als es Frau Merkel je recht war. Eine Ausnahme bleibt: das volle Adoptionsrecht. Hier ist durch die eindeutige Formulierung betreffs der Sukzessivadoption ein weiteres Abwarten auf das Bundesverfassungsgericht wohl nicht zu verhindern.

100 Prozent minus X (gleich Adoptionsrecht) also? Nein, nicht ganz. Die ursprüngliche Forderung nach der Öffnung der Ehe, die umgehend alle Ungleichheiten beseitigt hätte, war nicht sentimentalem Traditionalismus geschuldet. Für Menschen in kirchlichen Arbeitsverhältnissen zum Beispiel bedeutet das Sonderrechtsinstitut eingetragene Partnerschaft weiterhin eventuellen Jobverlust. Diskriminierungsbeseitigend hätte hier nur eine Eheöffnung gewirkt. Es ist paradox, aber die eventuelle Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft betoniert eventuell die diskriminierende, weil mit Zwangsouting verbundene Ausgestaltung der rechtlichen Anerkennung homosexueller Partnerschaften auf unabsehbare Zeit. Es wird schwieriger werden, ohne erkennbare Nachteile der EP weiterhin die Öffnung der Ehe zu fordern.

Als „ätzend“, „absurd“, „peinlich“ und „beschämend“ beschreibt Johannes Kahrs im Interview mit queer.de viele der Kompromisse und die Unbelehrbarkeit der CDU. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf, dass irgendwann auch die wirklichen 100 Prozent erreicht sind, und beruft sich für sein Ja zur Koalition auf viele Verbesserungen für viele Menschen, die ohne die SPD nicht zustande kommen würden. Ich drücke die Daumen und hoffe mit. Zufrieden kann ich nicht sein, solange meine Partnerschaft weiter eine zweiter Klasse bleibt, obwohl Gesellschaft und Recht eine andere Sprache sprechen. •Christian Knuth

INFO

Weitere gescheiterte Forderungen neben der Eheöffnung sind die Aufnahme des Merkmals „sexuelle Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes und die Aufarbeitung der Opfer des § 175. Erfolgreich wird dagegen der „Nationale Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ um das Thema Homo- und Transphobie erweitert werden.

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