Helmut Metzner: „Diesem Anliegen von Diversität, von Vielfalt, wieder ein Haus geben“

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Zehn Jahre führte Jörg Litwinschuh-Barthel als Gründungsvorstand die Geschicke der einzigen queeren Bundesstiftung. Die Suche nach eine*m/einer*r Nachfolger*in dauerte einige Zeit, Anfang April gab das Kuratorium über den Kuratoriumsvorsitz im Bundesjustizministerium ihn bekannt (männer* berichtete). Helmut Metzner ist der zweite geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Wir sprachen telefonisch mit ihm.

Foto: LSVD

In Deiner ersten Reaktion in den sozialen Medien auf die Bekanntgabe Deines neuen Amtes, hast Du geschrieben, du spürest die Verantwortung. Was meinst Du damit?

Es gab sehr viele Rückmeldungen und Glückwünsche nach der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums. Das macht deutlich, wieviele Erwartungen die Menschen an diese Stiftung haben. Sie ist jetzt zehn Jahre eingeführt, hat eine gewisse thematische Breite erzielt und steht aber vor vielen Herausforderungen. Die spüre ich. Es geht jetzt darum, sich thematisch zu fokussieren, denn – auch das muss man sagen – die BMH ist eine Stiftung, die aus Finanzmarkterträgen leben soll, was in den letzten zehn Jahren nicht leicht möglich gewesen ist.

Erhoffst Du dir durch deine guten Kontakte in die Politik auch mehr Unterstützung aus dem Bundestag? Erwartest Du persönlich von dort mehr?

Es geht darum, die Finanzbasis für die Arbeitsfähigkeit der Stiftung zu verbessern. Dafür muss ein breiterer Blickwinkel eingenommen werden. Ich freue mich, dass die Koalition bei der Antidiskriminierungsarbeit viel vor hat und die Architektur dieser auch weiterentwickeln will wie zum Beispiel mit dem Queerbeauftragten (Sven Lehmann, A. d. R.), mit einem nationalen Aktionsplan oder im Projekt „Mehr Demokratie“. Die Frage ist, wie sich die Stiftung in dieser Landschaft positioniert und was dabei ihren spezifischen Mehrwert ausmacht. Ich bin guter Hoffnung, dass das Bewusstsein dafür vorhanden ist, dennoch dürfen uns nicht nur auf dieses Feld verlassen und müssen breiter schauen. Was können andere Ebenen leisten, welcher Beitrag aus Mitteln der Europäischen Union zum Beispiel ist möglich. Wir sollten auch den privatwirtschaftlichen Sektor adressieren.

Welcher Hebel könnte dort wirken?

Bei dem, was die Stifter seinerzeit auch motiviert hat, spielte der Gedanke einer kollektiven Wiedergutmachung eine Rolle. Einer Wiedergutmachung für das zerstörte Lebenswerk von Magnus Hirschfeld. Von politischer Seite haben wir dazu inzwischen allerhand gesehen. In der Wirtschaft gibt es zwar auch einiges im Bereich der Corporate Responsibility, aber ich glaube, dass muss noch stärker adressiert werden. Ich meine übrigens, dass wir da auch am positiven Vorbild von Magnus Hirschfeld anschließen können.

Foto: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin

Hirschfeld hat ja – für seine Zeit unglaublich innovativ – mit wirtschaftlichen Playern zusammengearbeitet, um seine Arbeit und seine Projekt wie das Institut für Sexualwissenschaften, wirtschaftlich zu betreiben.

Seit einigen Jahren ist pink Marketing ein Megatrend. Kaum eine Marke, die keine Pride-Kollektion oder ein Logo in Regenbogenfahnen zur CSD-Saison hat. Wirst Du da auch anklopfen?

Ja, durchaus. Im Grunde sehe ich dabei zwei Aufgaben: Die Stiftung muss das Selbstbewusstsein der Community stärken und das Verantwortungsbewusstsein der Gesamtgesellschaft entwickeln. Wir müssen Solidarität organisieren, besonders auch bei denen, die vielleicht denken, „Was hab ich denn mit Diversität zu tun?“ Ihnen müssen wir klar machen, dass Angriffe auf die Freiheit von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten, dass Homo-, Bi-; Inter-und Transphobie Angriffe auf die Mitte der Gesellschaft sind und diese Realität sind.

„Die Stiftung muss das Selbstbewusstsein der Community stärken und das Verantwortungsbewusstsein der Gesamtgesellschaft.“

In Frankreich stehen rechtsnationale Parteien bei 30 Prozent, wir haben die AfD im Bundestag und von Polen und Ungarn muss ich hier wohl erst gar nicht anfangen. Kurzum: Die Mitte muss sich behaupten. Das zeigt, dass Investitionen in das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der offenen Gesellschaft unabdingbar sind.

Mal frech gefragt: Willst Du etwas anders machen, als Dein Vorgänger?

Darum geht es nicht. Es wäre doch unklug und anmaßend, über die Köpfe der Entscheidungsträger*innen und über die Köpfe der Community hinweg so zu tun, als habe man das Rezept zur Glückseligkeit schon gefunden. Ich setze sehr auf einen dialogischen Prozess. Hineinhören in die Community und dann sehen, was wir dort stärken können mit Blick auf die Aufgaben, die die Satzung der Stiftung vorgibt: Das ist einmal die Erinnerung an die Arbeit von Magnus Hirschfeld, die Erforschung dessen, was LSBTIQ*-Verfolgung in der Vergangenheit bedeutet hat und vor allem Aufklärung und Prävention, dass sich so etwas nie wieder einstellen kann.

„Entscheidend ist das Programm, das dabei raus kommt.“

Da sind Gespräche und Austausch glaube ich erst einmal die grundlegenden Werkzeuge. Erst danach muss man dann schauen, was zum Beispiel mit dem Bund und den Ländern über Bildung und Ausbildung als Basis für die Fähigkeit mit Heterogenität umgehen zu können, geleistet werden kann. Das ist eine spannende Aufgabe, bei der es nicht darum geht, alles anders oder neu zu gestalten, sondern Bewährtes zu erhalten, anderes kritisch zu hinterfragen und aus allem im engen Austausch das Beste abzuleiten. Denn: Die Stiftung ist nur so stark, wie die Menschen, die sie gemeinsam tragen und unterstützen.

Das war jetzt fast schon eine schöne Antwort auf die Kritiken, die sich rund um Deine Ernennung den Weg durch die sozialen Netzwerke bis hin zu einer offiziellen Stellungnahme von DIELINKE.queer bahnten. Wie reagierst Du darauf ergänzend zu der Antwort eben?

Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr miteinander statt übereinander reden. Ich wäre dankbar, wenn wir das, was wir versuchen selber zu leisten – das Abarbeiten oder Ausräumen von Vorurteilen und Fehlurteilen – nicht in unserer eigenen Argumentation reproduzieren. Das was die Stiftung ausmacht ist ja weniger die Frage, ob der Vorstand alle Buchstaben der LSBTIQ*-Community inklusive Sternchen persönlich verkörpert. Es kommt darauf an, dass das im Programm der Stiftung zum Ausdruck kommt. Daran wird der Erfolg der Stiftung zu messen sein. Ich bin der, der ich bin: Jemanden, der alle Buchstaben verkörpert, gibt es wahrscheinlich nicht. Ich möchte hier auf das hervorragende Team der Stiftung hinweisen. Wer es sich anguckt, findet dort schon sehr viel Diversität. Aber auch dieser Blick wirkt eben nur oberflächlich. Entscheidend ist das Programm, das dabei raus kommt.

Foto: Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin

Welche Vision hast du. Wo siehst Du die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld als einzige queere Bundesstiftung in zehn Jahren?

1933 wurde die Infrastruktur des Institutes für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld vernichtet. Seit dem versuchen wir, diese wiederherzustellen und in diesem Geist zu arbeiten. Vielleicht gelingt es uns ja gemeinsam bis 2033 – das können dann auch Nachfolgende eröffnen – diesem Anliegen von Diversität, von Vielfalt, wieder ein Haus zu geben. Zum Austausch, um sich den Aufgaben zu widmen, denen sich die Stiftung verschrieben hat. Sichtbar und erkennbar und ganz in der Tradition von Hirschfeld für Vielfalt arbeiten.

*Interview: Christian Knuth

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