Das d in m/w/d ist kein Chichi!

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Der Intersex Awareness Day erinnert jedes Jahr am 26. Oktober an die Menschenrechtssituation intersexueller Menschen weltweit und feiert ihre Sichtbarkeit. In Deutschland ist die sogenannte 3. Option seit 2017 durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Die Gesetzgebung hinkt diesem Grundsatzurteil noch hinterher. 

Intersexuelle Menschen werden mit Variationen der Geschlechtsmerkmale (wie Genitalien, Fortpflanzungsorgane, hormonelle und/oder chromosomale Muster) geboren, die vielfältiger sind als die binäre Definition von männlichen oder weiblichen Körpern. Bis zu 1,7 Prozent der Weltbevölkerung werden mit solchen Merkmalen geboren, da ihre Körper jedoch als unterschiedlich angesehen werden, werden intersexuelle Kinder und Erwachsene häufig stigmatisiert, diskriminiert und schädlichen Praktiken ausgesetzt. Nach wie vor sind irreversible medizinische Eingriffe (wie Genitaloperationen, Hormonbehandlungen und medizinische Verfahren zur Veränderung der Geschlechtsmerkmale von Säuglingen und Kindern ohne deren Zustimmung) die Regel und nicht die Ausnahme.

Die gute Nachricht: Seit sich intersexuelle Gruppen aus der ganzen Welt zusammengeschlossen haben und in einem gemeinsamen Intersex Civil Society Statement dazu aufforderten, diese schädliche Praktiken zu beenden und zu verbieten, fühlen sich immer mehr Staaten dazu veranlasst, sich eingehender mit dem Thema zu befassen.

Der Stein wurde ins Rollen gebracht ...

Im Jahr 2019 verabschiedeten die Vereinten Nationen ihre erste Resolution zu den Rechten intersexueller Personen. Darin wird ein Ende der Diskriminierung von Frauen und Mädchen im Sport, einschließlich Frauen, die mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, gefordert.

Anfang 2020 entschuldige sich ein Kinderkrankenhaus in Chicago als erste medizinische Einrichtung in den USA öffentlich für den Schaden, den es intersexuellen Menschen zugefügt hatte. Das Krankenhaus habe Richtlinien „entwickelt“, hieß es in der von CNN zitierten Pressemitteilung, und werde keine geschlechtsangleichenden Operationen mehr durchführen, es sei denn, sie sind medizinisch notwendig.

„Wir fühlen uns in intersexuelle Menschen ein, die durch die Behandlung, die sie nach dem historischen Versorgungsstandard erhalten haben, geschädigt wurden, wir entschuldigen uns und es tut uns aufrichtig leid.“

Im Juli 2021 erklärte die afrikanische Staatengruppe mit unmissverständlichen Worten, dass „die Segregation von Frauen aufgrund von intersexuellen Variationen die gleiche Wirkung hat wie Apartheid“, und forderte ein Ende dieser Praxis Sport.

Im Oktober 2020 übernahmen 37 Staaten die Führung und befassten sich mit Menschenrechtsverletzungen an intersexuellen Menschen– ein Novum im UN-Menschenrechtsrat. Am 4. Oktober 2021 forderten die nunmehr 53 Staaten in einer gemeinsamen Erklärung den Schutz der Menschenrechte von intergeschlechtlichen Menschen. Eine Liste der Länder, die die Gemeinsame Erklärung über die Menschenrechte von Intersex Personen unterzeichnet haben, findet ihr HIER.

„Intersexuelle Menschen werden weiterhin in vielen Lebensbereichen diskriminiert“, sagte Österreich im Namen der 53 Staaten vor dem UN-Menschenrechtsrat, „insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, soziale Sicherheit, Sport, Haftanstalten und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen.”

„Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Autonomie intergeschlechtlicher Kinder und Erwachsener und ihre Rechte auf Gesundheit sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit zu schützen, damit sie frei von Gewalt und schädlichen Praktiken leben.“

... doch er rollt langsam.

Die zivilgesellschaftlichen Akteure begrüßen die jüngsten Initiativen der Staaten, fordern diese jedoch auf, mehr zu tun. „Wenn nicht sofort gehandelt wird, werden schwere Menschenrechtsverletzungen gegen intersexuelle Menschen überwiegen und andauern.“ Entsprechend müsse der Menschenrechtsrat

„eine klare Botschaft aussenden, dass solche Praktiken gegen die internationalen Menschenrechtsnormen verstoßen und nicht toleriert werden dürfen.“

Deutschland im Schneckentempo

Bis zum 10. Oktober 20217 war die Bundesrepublik Deutschland ein Staat, in dem es juristisch nur Mann und Frau gab. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes änderte sich dies schlagartig. Das Verfassungsgericht schrieb damals:

Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 - 1 BvR 2019/16 -

  1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
  2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.
  3. Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in beiden Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.#

Foto: Gerd Altmann / CC0

Auf dem Papier wirkt das sehr fortschrittlich, leider hinkte aber der Gesetzgeber bis 2021 den Vorgaben des Gerichtes hinterher. Erst im März dieses Jahres wurde endlich ein Gesetz verabschiedet (männer* berichtete), das die Operation von Säuglingen mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen verbietet. Zum Teil werden durch solche Operationen Menschen um ihre spätere sexuelle Empfindsamkeit gebracht oder gar ihre Fortpflanzungsfähigkeit eingeschränkt. Die Opposition kritisierte Ausnahmen und fehlende Beratungsmöglichkeiten über die Behandlungen. Auch im Abstammungs- und Familienrecht sind noch einige Lücken für Intersexuelle, Nicht-Binäre und Trans* zu schließen, um endlich zu einer wirklich selbstbestimmten Anerkennung des eigenen Geschlechts zu kommen. Die diesbezüglichen Erwartungen an die neue Regierung sind hoch (männer* berichtete). 

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