Interview: Gloria wählen?

Sie ist eine der ganz Großen in Berlins Drag-Szene. Ihre Bekanntheit stellt Gloria Viagra nun am 12. Februar als parteilose Direktkandidatin in den Dienst der Partei DIE LINKE. Für queere Sichtbarkeit im Abgeordnetenhaus und gegen Hassgewalt auf den Straßen, wie sie uns im Gespräch verriet.

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Mit welchem Namen stehst du eigentlich auf dem Wahlzettel?

Als Gloria Viagra. Ich habe das ja extra registrieren lassen und für meinen Personalausweis beantragt. In der amtlichen Bekanntmachung ist es der bürgerlichen Name, aber auf dem Wahlzettel steht Gloria Viagra. Viagra für Berlin!

Foto: M. Rädel

Du bist recht unerwartet für Pankow nachgerutscht als Bewerber*in um das Direktmandat. Was verbindet Dich mit „Deinem“ Stadtteil? 

Ewigkeiten verbinden mich mit dem Kollwitzplatz oder dem Tuntenhaus in der Kastanienallee. Und natürlich habe ich langjährige Freunde aus diesem Umfeld, die dort leben. Nicht zuletzt gibt es ja auch immer noch die ein oder andere Cruisingbar. 

„Immer noch“ ist ein gutes Stichwort. Stiller Don, Villis, Bar zum schmutzigen Hobby, die Liste der Ex-Szenetreffs ist massiv länger geworden in den letzten 15 Jahren. Wie setzt sich DIE LINKE, wie willst Du Dich für queere Infrastruktur einsetzen? 

Es ist ein wahnsinnig wichtiges Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Nicht nur im Prenzlauer Berg, sondern in ganz Berlin. Ich glaube, es ist erstmal ganz wichtig, dass wir Queers in den Bezirksversammlungen und im Abgeordnetenhaus sichtbar sind, um dann aus dieser Sichtbarkeit heraus politische Bewegungen zu erzeugen. Manche sagen gerade, wenn sie von meiner Kandidatur erfahren „ach, Du machst jetzt Politik?“. Ich habe mein ganzes Leben lang Politik gemacht! Mit sechs Jahren war ich auf der ersten Anti-Kriegsdemo und als Aktivist*in mische ich natürlich seit Jahren im Kampf für LGBTIQ* mit. Dass ich jetzt in den politischen Betrieb reingehen möchte, ist halt neu. Das mache ich A, weil ich versuchen möchte, von anderer Stelle etwas bewirken zu können und B, wie eben schon gesagt finde, dass die Stadtgesellschaft repräsentiert sein muss in den Parlamenten.

Was liegt Dir denn besonders am Herzen?

Die Gewalt gegen Queers. Besonders der Anstieg dieser. Der mag zwar auch damit begründet sein, dass sich immer mehr Opfer trauen, queerfeindliche Taten zu melden, aber es ist trotzdem unterm Strich einfach ganz klar, dass die Zahl der Übergriffe in der Statistik wächst und wächst. Ich bin ja selber vor anderthalb zwei Jahren auch Opfer geworden und ich denke, dass da einfach immer noch viel mehr Aufklärung passieren muss. Ich möchte gerne der Initiative „Berlin steht ein für sexuelle Vielfalt und Akzeptanz“ (ISV) noch mehr Gewicht geben. Die Übergriffe kommen vermehrt von Leuten, die hier groß geworden sind, aber trotzdem aus anderen Kulturkreisen sozialisiert wurden. Das muss man dringend benennen. Man darf nicht so tun, als wäre da kein Problem. Und der richtig Lösungsansatz für dieses Problem ist Bildung. Es geht immer um Bildung, in Schulen, in Kitas und so weiter …

Hast du das Gefühl, dass das bisher nicht richtig ausgearbeitet wird oder unterdrückt wird, weil man nicht in bestimmte Fahrwasser geraten möchte?

Genau das ist eben das Problem mit den Fahrwassern. Und ja, ich denke schon, dass das zu lange – das muss ich auch selber mir gegenüber zugeben - ausgeblendet oder abgestritten wurde. Aber es ist wirklich mittlerweile meine Erfahrung und auch wenn ich mit anderen spreche so, dass Angriffe von Menschen kommen, die hier groß werden, aber in ihrem eigenen Kulturkreis bleiben. Das war mal besser. Ich finde, das hat sich wirklich erheblich verschlimmert in letzter Zeit und hier muss unbedingt angesetzt werden.

Du sprichst jetzt aber über bestimmte Bezirke, Stadtteile. Schon die Gesamtstatistik für Berlin und noch viel mehr die für Deutschland widersprechen dieser Schlussfolgerung …

Ja tue ich und das meinte ich ja auch eben. Wir sprechen nicht über diese spezifischen Probleme in spezifischen Ballungsräumen, weil wir Angst davor haben, niedergeschrien zu werden. 

Ist das Niederschreien, der Ton der Debatte, schlimmer geworden? 

Es war eine ganze Zeit lang schlimm. Ich fand es die letzten fünf Jahre wirklich schlimm muss ich mal sagen. Und ich bin da auch wirklich empfindlich geworden. In letzter Zeit ist es weniger geworden, finde ich. Das ist aber wirklich nur mein eigenes Empfinden und kann zum Teil daran liegen, dass ich mich wegen des Tons auch ein bisschen aus Teilen der Diskussion rausgezogen habe. Außerdem hat sich der Fokus auch verlagert in andere Richtungen. Die TERF-Diskussionen gegen trans Menschen werden ja auch wahnsinnig radikalisiert ausgetragen aktuell …

Radikalisierung kann aber auch ein Zeichen dafür sein, dass sich die gesellschaftliche Situation für eine Minderheit verbessert. Soziologisch gibt es da einen Ansatz, dass die Verbesserung erstmal eine verstärkte Gegenreaktion hervorruft …

Es ist auch so, denke ich. Ich bin ein paar Mal in diesen Fernsehdiskussion gewesen über das Gendern und Geschlechterrollen. Was sich da alle gegen sträuben und so tun, als würde die Sprache zerstört. Das selbe haben sie doch schon bei der letzten Rechtschreibreform gesagt … Und davor bei der zweigeschlechtlichen Ansprache … Solche Diskussionen müssen aber geführt werden. Dass sie nicht immer korrekt geführt werden, gehört dazu. Das ist Demokratie und das muss man aushalten. Demokratie heißt eine andere Meinung auch auszuhalten und akzeptieren zu können. Die Jungschen sind übrigens bei den ganzen Themen viel weiter als die Älteren, die immer groß aufschreien... 

Hast Du einen Tipp, wie Queer älter werden kann, ohne ein rechthaberischer Schreihals zu werden?

Gute Frage. Ich bin so groß geworden: meine Mutter hat mir beigebracht,  jedem Gegenüber erstmal mit Respekt zu begegnen. So bin ich auch immer geblieben. Wenn jemand ein Arschloch ist, kann man das später auch noch ändern. …

Gibt es etwas, das Du noch los werden möchtest? 

Danke an DIE LINKE und an Klaus Lederer, dass sie es mir wieder ermöglichen, ohne Parteibuch für mehr queere Sichtbarkeit im Wahlkampf und hoffentlich auch im Abgeordnetenhaus beitragen zu können. 

*Interview: Christian Knuth 

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