HOMOSEXUALITÄT KANN ISLAMKONFORM SEIN

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Fotograf & Produktion: The W Prague - Vratko Barcík & Daniela Pilná

Der Islam gehört zu Deutschland. Dieser Satz sorgt bis weit in die Mitte der Gesellschaft für Unverständnis. Mit Schuld daran ist nach Einschätzung unter anderem der Bertelsmann Stiftung mangelnder Kontakt, Unkenntnis. Auch schuld sind die teilweise undurchsichtigen Organisationsstrukturen einiger Moscheen, die allzu oft aus dem Ausland finanziert und gesteuert werden und ein konservatives Islambild propagieren, das ähnlich wie ein orthodoxes Christentum wenig mit der Lebenswirklichkeit der Gläubigen zu tun hat. Seit 2010 setzt sich der Liberal-Islamische Bund dafür ein, den vielen Muslimen, die für sich liberalere Positionen beanspruchen und daher in keiner der bestehenden Moscheegemeinden oder Verbände organisiert sind, eine Plattform zu bieten.

Inwiefern begünstigt ein traditionelles religiöses Umfeld homophobes Verhalten?


Ein traditionelles religiöses Umfeld muss nicht notwendigerweise homophobes Verhalten begünstigen. Ein solches Umfeld, wie es in der Frage bezeichnet wird, kann sowohl religiös als auch traditionell sein, wobei religiös nicht automatisch traditionell und traditionell nicht automatisch religiös beinhaltet. Sowohl Tradition in Form überlieferter, konservativer Geschlechterrollen als auch die Religion, die einigen Interpretationen zufolge Homosexualität als Sünde wertet, können homophobe Einstellungen produzieren, die sich jedoch nicht in jedem Fall in homophobem Verhalten niederschlagen: Ein Muslim kann der Auffassung sein, dass einem Menschen, der seine Homosexualität offen lebt, der Zutritt ins Paradies verwehrt bleibt, kann ihn aber dennoch wie jeden anderen auch behandeln. Dies ist kein homophobes Verhalten, wertet den homosexuellen Menschen aber gegenüber anderen ab. Aus diesen Einstellungen heraus können diesen entsprechende Verhaltensweisen erwachsen, müssen es aber nicht.

Viele europäische Schwule beklagen, in bestimmten muslimisch geprägten Stadtteilen im öffentlichen Leben nicht offen schwul sein zu können. Wie gehen Sie selbst mit homophoben oder islamophoben Anfeindungen um?

Ganz gleich, ob man selbst homosexuell ist oder als heterosexuelle Person Zeuge von homophoben Anfeindungen anderen gegenüber wird, lässt sich Folgendes sagen: Homophobie war, ist und bleibt ein gesamtgesellschaftliches Problem, dem wir uns alle stellen müssen unabhängig von Glauben, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung oder Geschlecht. Mit homophoben Anfeindungen kann man im Neuköllner Problemkiez genauso und im gleichen Maße konfrontiert werden wie im bürgerlichen Charlottenburg oder in Marzahn. Darüber hinaus werden übrigens auch nicht-weiße, nicht-europäische Schwule mit denselben Problemen konfrontiert. Ob Ost oder West, migrantisch oder biodeutsch, religiös oder atheistisch wir täten gut daran, nicht in Kategorien zu denken. Homophobie ist und bleibt ein Unrecht, und Unrecht hat keine Hautfarbe oder Religion! In der Regel werden wir häufiger mit islamophoben Anfeindungen konfrontiert. Sei es in Form von Vorhaltungen, meist der gebildeten Mitte der Gesellschaft, oder aber in Form diffuser Drohungen, die ausnahmslos von Rassisten herrühren. Dieses Ungleichgewicht rührt jedoch vielleicht auch daher, dass man als Muslim oder Muslima eher erkennbar ist. Dies relativiert jedoch in keinem Fall homophobe Äußerungen oder Handlungen, ganz gleich, von wem das ausgeht. Jeder Fall von Diskriminierung ist einer zu viel! Wir bemühen uns, in einen Dialog zu treten und aufzuklären, denn nur so können Vorurteile abgebaut werden.

Welchen Einfluss haben dabei die verschiedenen Moscheeverbände?


In Sachen Abbau von Vorurteilen gegenüber Muslimen unternehmen die Moscheeverbände schon sehr viel. Alleine in Berlin gibt es eine Vielzahl an Angeboten für jene, die an einem Dialog interessiert sind. Dies ist richtig und wichtig! Im Einsatz um mehr Akzeptanz gegenüber Homosexualität sind über die bereits erfolgten und erfolgenden Bemühungen hinaus noch mehr Aktivitäten nötig. Eine klare Absage an jedwedes gewalttätige Verhalten ist zwingend notwendig. Und auch lieber einmal mehr als einmal zu wenig. Da die meisten hierzulande lebenden Muslime weder in Verbänden organisiert sind noch regelmäßig in die Moschee gehen, sollte man von den Verbänden jedoch auch keine Wunder erwarten. Eine Initialzündung in die muslimische Community hinein könnte es aber dennoch geben, wenn zum Beispiel einige Verbände oder Gemeinden sich zusammentun würden, um ein gemeinsames Fastenbrechen zu veranstalten, zu dem auch ganz selbstverständlich Homosexuelle eingeladen werden.

Gibt es dort unterschiedliche Ansätze, das Thema Homosexualität zu behandeln? Wird es Überhaupt thematisiert?


Der gesamte Themenkomplex der Sexualität wird im Ganzen eher stiefmütterlich behandelt. Vom speziellen Thema der Homosexualität ganz zu schweigen. Und wenn, dann höchstens in einem Vier-Augen-Gespräch, als in Form einer Freitagspredigt oder einer Podiumsdiskussion. Häufig wird das Meiden solcher intimen Themen mit der sexualisierten Außenwelt gerechtfertigt. Mann wolle sich abgrenzen und einen von solchen Umtrieben freien Raum schaffen geschenkt. Schwierig wird es aber spätestens dann, wenn die Sexualität, die Teil eines jeden Menschen ist, tabuisiert wird. Ohne schlechtes Gewissen sollte man das in der Gemeinde diskutieren können und dabei auch auf Homosexualität als eine der vielen unterschiedlichen Arten von Sexualität eingehen. An einem differenzierten, gewisse Regeln einhaltenden Diskurs, kann man ja nur wachsen.

Was glauben Sie, wird die nähere Zukunft bringen? Sehen Sie eine Chance, dass Veranstaltungen wie mit Ender Cetin in Berlin zu mehr Offenheit führen?


Die von Ihnen erwähnte Veranstaltung mit der Sehitlik-Moschee und ihrem Moscheevorsteher Ender Cetin war, trotz der vorangegangenen Schwierigkeiten, ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Innerhalb kürzester Zeit von beiden Seiten absolute Offenheit abzuverlangen, ist wohl wenig realistisch. Mittelfristig können solche Aktionen zu einer Öffnung auf beiden Seiten führen.

Reißen Sie bitte einmal kurz die wesentlichen Grundsätze Ihres Verbandes an: Stellung der Frau, Haltung zu Homosexualität.


Der LIB e. V. setzt sich für eine dogmafreie und historisch-kritische Auseinandersetzung mit den religiösen Schriften ein und möchte so zu einem liberalen, offenen und pluralistischen, aber dennoch theologisch fundierten Islamverständnis gelangen. Damit sieht sich der LIB e. V. als eine wichtige Ergänzung zum bisher bestehenden islamischen Spektrum in Deutschland. Reden wir von der Stellung der Frau, so meinen wir nicht nur Gleichwertigkeit gegenüber dem Mann und vor Gott, sondern auch Gleichberechtigung. Das manifestiert sich beispielsweise in Eheschließungen zwischen Muslimas und nicht-muslimischen Männern und zeigt sich darüber hinaus in weiblichen Gemeindeleiterinnen und Vorbeterinnen. Eine homosexuelle Orientierung ist nach Auffassung des LIB e. V. weder sündhaft noch krankhaft, sondern ein Teil der Vielfalt der Schöpfung. Unserem Verständnis nach kann Homosexualität durchaus islamkonform sein, und so sind homosexuelle Muslime und Muslimas bei uns selbstverständlich willkommen und können sich gleichberechtigt einbringen.

Wie wird Ihre Glaubenshaltung von anderen Verbänden wahrgenommen? 


Das Wort liberal scheint für einige Konservative ungerechtfertigterweise zu einem Kampfbegriff avanciert zu sein. Nicht zuletzt dadurch, dass die Vorstellung einzelner Muslime darüber, was ein liberaler Muslim wohl sein mag, häufig nicht der Realität entspricht. Somit läuft ein Dialog auf persönlicher, informeller Ebene häufig überraschend entspannt ab. Auf Verbandsebene mag es einzelne Reibereien geben, die man als politisches Machtkalkül bewerten kann.

Was raten Sie homosexuellen muslimischen Jugendlichen? Bieten Sie selbst auch Hilfe über Ihren Verband an?


Zunächst einmal muss man mit sich selbst im Reinen sein und zur eigenen Gewissheit gelangen, dass es nicht schlimm ist homosexuell zu sein. Als muslimischer Verband gehen wir davon aus, dass vor Gott alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder anderen Merkmalen gleich sind. Beim Coming-out kann im Einzelfall schon etwas Fingerspitzengefühl erforderlich sein. So sollte man zum Beispiel sein eigenes Umfeld (Familie, Schule, Freunde, Fußball usw.) realistisch einschätzen. Die diversen Beratungsangebote der sozialen Träger, die sich auf jene Thematik spezialisiert haben, können einem dabei helfen. Unser Verband bearbeitet zwar unter anderem auch das Thema Homosexualität, dies jedoch vermehrt aus theologischer Sicht und in Form von Vorträgen, die der Aufklärung zu diesem Thema dienen. Daher kann die Arbeit unseres Verbandes lediglich als Ergänzung zu den bestehenden professionellen Coachings der sozialen Träger angesehen werden, stellt aber in keinem Fall ein Substitut dar. Ein Besuch einer unserer Gemeinden oder die Lektüre unseres Positionspapiers zum Thema Homosexualität (zu finden auf unserer Website), ist immer möglich.

Interview: Christian Knuth


Fotograf & Produktion: The W Prague - Vratko Barcík & Daniela Pilná Styling: Stan Steiner Make-up: Sam Dolce

Internet: WWW.LIB-EV.DE

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