Interview: Martin Schulz zur Queerpolitik

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Martin Schulz ist das Wagnis eingegangen, der durch die große Koalition zahnlos wirkenden SPD mit Inhalten mehr Rückhalt bei den Wählern zu geben. Er kandidiert erstmals für den Bundestag, war aber lange Zeit Lokalpolitiker und von 1994 bis 2017 Mitglied des Europäischen Parlaments. Erfahrungen aus der Europapolitik, wo er Bündnisse aus bis zu dreißig verschiedenen Landesparteien schmieden musste, könnten ihm bei schwierigen Koalitionsverhandlungen helfen. Er erklärt im Interview, was queerpolitisch nach der Ehe für alle noch auf der Agenda steht, wenn er Kanzler wird.

Foto: Susie Knoll

Die Eheöffnung ist ein riesiger Erfolg, damit wurden mit der SPD doch noch 99 Prozent Gleichstellung erreicht. Eine Lücke bleibt: Die automatische Elternschaft für lesbische Paare ist noch nicht geregelt. Planen Sie hier eine Änderung?

Wir unterstützen Familien in ihrer Vielfalt.  Dank der SPD gibt es nun endlich die Ehe für alle. Für uns steht ein modernes Familienrecht im Mittelpunkt, das die Vielfalt von Familien widerspiegelt. Familien mit verheirateten, unverheirateten oder gleichgeschlechtlichen Paaren; getrennt, gemeinsam oder allein Erziehende; Stieffamilien, Regenbogenfamilien, Patchworkfamilien oder Pflegefamilien.

Wir sorgen für Klarheit in all diesen Konstellationen, indem Rechte und Pflichten eindeutig definiert werden. Das Wohl der Kinder muss dabei immer im Mittelpunkt stehen. Die Vielfalt der heutigen Familienkonstellationen und der wissenschaftliche Fortschritt in der Reproduktionsmedizin führen dazu, dass die biologischen Eltern immer häufiger nicht die sozialen Eltern sind. Deshalb setzen wir uns für ein modernes Abstammungsrecht ein, das diesen neuen Konstellationen Rechnung trägt und das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft wahrt. Die automatische Elternschaft für lesbische Paare ist als Empfehlung auch im Abschlussbericht des Expertenkreises zur Reform des Abstammungsrechtes enthalten, der vor kurzem vorgelegt wurde. Wir werden auf dieser Grundlage in der kommenden Legislaturperiode die nötigen gesetzgeberischen Konsequenzen prüfen.

Welche Pläne hat die SPD generell zur Besserstellung von Familien mit Kindern?

Wir unterstützen Familien so, wie sie heute leben und leben wollen. Wir sorgen dafür, dass Kindererziehung, Beruf und Pflege besser zusammen gehen. Und wir schaffen gute Bildungschancen für alle Kinder in Deutschland. Mit einem Dreiklang aus mehr Zeit für Familie, guter Bildung von Anfang an und gerechten Steuern.

Zeit für Familie:   Wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit vollzeitnah reduzieren, erhalten sie für bis zu 24 Monate das Familiengeld von je 150 Euro - oder als Alleinerziehende 300 Euro.   Angehörige von Pflegebedürftigen sollen künftig mit Lohnersatz bis zu drei Monate vollständig aus dem Job aussteigen und anschließend das Familiengeld für Pflege nutzen können.

Gute Bildung von Anfang an: Wir werden den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Kitas und Grundschulen durchsetzen, in die Qualität von Kitas investieren und Kita-Gebühren abschaffen.

Gerechte Steuern für alle Familien:  Wir wollen Kinder fördern - unabhängig vom Familienstand der Eltern und gleichmäßig über alle Einkommensgruppen hinweg:  mit einem neuen Kinderbonus von 150 Euro pro Kind und Elternteil als Steuerabzug. Das hilft verheirateten und unverheirateten Paaren ebenso wie Alleinerziehenden. 

Gewalt gegen Queere ist ein Thema, das die Szene bewegt. Das Gesetz gegen Hasskriminalität hat diese leider nicht konkret benannt. Wie wollen Sie antiqueere Gewalt statistisch sichtbar machen und was plant die SPD an Maßnahmen dagegen?

Wir wollen, dass Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können, mit gleichen Rechten und Pflichten. Der Kampf gegen Homophobie im Alltag gehört zu den größten Herausforderungen. Wir stellen uns Hass entgegen. Wer zu Gewalttaten anstachelt oder Gewalt verübt, wird mit allen verfügbaren rechtsstaatlichen Mitteln zur Rechenschaft gezogen.

Wir haben dafür gesorgt, dass diejenigen, die aus dem Motiv Hass heraus Straftaten begehen, bei der Strafzumessung besonders zur Rechenschaft gezogen werden (Strafgesetzbuch § 46).

Die Aufnahme der Tatmotive Homophobie und Transfeindlichkeit ist bei der Reform des § 46 StGB im Jahre 2015 gefordert und diskutiert worden. Wir haben die Ergänzung des § 46 StGB abgelehnt, da die ausdrückliche Erwähnung eines Merkmals andere vergleichbare, jedoch nicht ausdrücklich genannte Motive abwerten würde. Im Übrigen kann der Richter die genannten Motive als Beweggründe im Rahmen der Abwägung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB bereits heute berücksichtigen. Das gleiche gilt im Rahmen des § 130 StGB (Volksverhetzung), der explizit nur die nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe nennt. Andere Personengruppen, die sich durch objektive oder subjektive Merkmale von der übrigen Bevölkerung unterscheiden, können jedoch unter „Teile der Bevölkerung“ subsumiert werden. Auch hier würde die ausdrückliche Benennung Homosexueller und Transgender zu einer Abwertung der hier nicht erwähnten Gruppen (z.B. Arbeitslose, Obdachlose, Behinderte, …) führen.

Die Regelungen zur Intersexuellen und Transsexuellen bzw. Transgendern liegen immer noch brach. Welche Akzente plant die SPD, um auch dort zu einer menschenfreundlicheren und selbstbestimmteren staatlichen Anerkennung zu kommen?

Die SPD fühlt sich der Resolution des Europarats zur Diskriminierung von transsexuellen Menschen verpflichtet, die dazu auffordert, eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags schnell, transparent, leicht zugänglich und auf Selbstbestimmung basierend zu gestalten. Eine punktuelle Änderung des aktuell gültigen Transsexuellengesetzes ist angesichts bestehenden dringenden Reformbedarfes bei weitem nicht ausreichend. Wir wollen eine grundsätzliche Novellierung des Gesetzes. Grundlage der Reform ist das Prinzip der Anerkennung der Geschlechtsidentität und der Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung. Dabei ist insbesondere die teure und unnötige Begutachtungspflicht vor einer Vornamens- bzw. Personenstandsänderung abzuschaffen und durch ein unbürokratisches Verfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität zu ersetzen. Zahlreiche Studien haben festgestellt, dass Begutachtungsverfahren in vielen Fällen von unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand sowie von entwürdigenden und diskriminierenden Erfahrungen für die Betroffenen geprägt sind. Deshalb müssen die Verfahren so gestaltet werden, dass die Würde und die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen.  

Geflüchtete aus Staaten wie dem Irak, Tunesien oder Marokko müssen immer noch darum kämpfen, einen Asylstatus aufgrund ihrer Homosexualität zu erhalten. Das BAMF lehnt immer wieder Fälle ab, weil angeblich keine Bedrohungslage vorläge. Wie wollen sie allgemein und im Speziellen die Regelungen für die Einzelfallprüfungen verbessern?

Wer in seiner Heimat wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt wird, der soll in Deutschland Schutz bekommen. Es ist gut, dass die grundsätzliche Diskussion, ob Homosexualität ein Fluchtgrund sein kann, beendet ist. Aber wir wissen um die Schwierigkeiten solcher Verfahren. Entweder, weil sich Flüchtlinge in der Interview-Situation beim zuständen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge scheuen, offen ihre Leidensgeschichte zu erzählen oder weil das Verfahren an sich nicht die nötige Sensibilität berücksichtigt. Deshalb wollen wir gründliche und sorgfältige Asylverfahren. Unser Ziel bleibt, dass das zuständige Bundesamt besser und schneller entscheidet. Dafür wollen wir die notwendigen Mittel bereit stellen, dafür wollen wir eine entsprechende Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichen.

Wie wird ein Kanzler Martin Schulz international für die Verbesserung der Situation queerer Menschen eintreten. Beispiel Iran, Saudi-Arabien oder auch viele afrikanische Staaten.

Sozialdemokratische Außenpolitik ist dem Frieden verpflichtet. Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland sein humanitäres Engagement ausbaut und dass auch die internationale Gemeinschaft ihren Verpflichtungen gerecht wird.

Die SPD will, dass Homophobie weltweit geächtet wird. Wir setzen uns aktiv für die Verhinderung der Verfolgung Angehöriger sexueller Minderheiten ein. Auf internationaler Ebene wollen wir die Umsetzung der Yogyakarta-Prinzipien befördern. Internationale und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen sich auf eine angemessene finanzielle Ausstattung für humanitäre Hilfe verlassen können. Internationale Politik ist ganz im Sinne Willy Brandts „der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Problemen“.

www.martinschulz.de

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