#Kommentar • Von Rabenmüttern, Ideologie und Gedöns

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Ich bin etwas spät. Das macht aber nichts. Die Bubbles im Netz sind ähnlich den Sorgen und Ängsten des Bürgers – bildungsnah wie derer fern – höchst zeitlos.

Verehrte Sandra Kegel, Sie Rabenmutter, Sie mit Selbstbewusstsein und Kalkül Klagende! Ist Ihre Klage berechtigt? 

Zunächst lassen Sie mich klarstellen: Ich weiß gar nicht, ob Sie Mutter sind. Das ist für die folgenden an Sie gerichteten Zeilen auch gleichsam irrelevant wie die zeitliche Distanz, in der ich mir erlaube, Ihnen eine Replik auf Ihre bis zum 5. Februar 2021 wohl bekannteste redaktionelle Arbeit in die Tasten zu klimpern.

Sie mögen es kurios finden, dass ich heute darüber nachsinne und Sie an meinen Gedanken teilhaben lasse. Aber ich habe Ihnen zugehört. Am Abend des 19. Februar beim Jour Fixe von SPD Grundwertekommission und Kulturforum. Den Perspektivwechsel, das Einnehmen des Standpunktes  Anderer wünschten Sie. Das will ich versuchen. Denn ich glaube, nein ich erhoffe mir, dass Sie ganz ehrlich so unbedarft jungfräulich zum Kinde der LGBTIQ*-Bewegungs-Kritikerin kamen, wie Sie es durchblicken lassen, wenn Sie vom 

„durchgegenderten“ ZDF-Vorabendprogramm

fantasieren.


„Wir Rabenmütter“ und die feministische Ideologie

Wie ein roter Faden durchzieht er Ihren Beitrag „Wir Rabenmütter“ in der FAZ vom 7. Januar 2005. Jener Widerspruch zwischen dem was Sie so vehement und vermeintlich mutig und mit der ganz großen Geste der Selbststigmatisierung, dem Coming-out als Rabenmutter postulieren und dem, was ist.

Sie klagen über Entscheidungszwänge. Mutter sein oder erfolgreich im Beruf? Sie meinen Frau traue sich nicht – aus Karrieregründen freilich – ihren Kinderwunsch publik zu machen. Weil die Geburtenrate stabil fällt, lassen sie uns dystopisch den drohenden Volkstod erleiden. Bildgewaltig gemalt als Wüstenwanderung durch Kohls verödende, weil kinderlos nicht mehr blühenden Landschaften. Ging es nicht noch etwas größer? Sie haben ja auch sonst an Schüchternheit nicht gelitten bisher. Zu unserem Glück! Dieser Furor entlarvt Ihr Kalkül im Ringen um Aufmerksamkeit. Ihre Verkennung der Verhältnisse im ideologischen Tunnelblick.

Ist sie nicht sogar in der CDU doch längst real, Ihre feministische Utopie der alles gleichzeitig können sollenden Superfrau und Halbzeitmutter? Die sich selbstverwirklichenden Hobby-Erzieherin, die mit Verve noch ein Sozialministerium schmeißt? Jene, die Sie als Solitär neben ausgerechnet eine weitere Ministerin aufs Podest heben, nur um geflissentlich die ach so vielen in der längst Lebenswirklichkeit gewordenen Realität dieser Republik verleumdend zu unterschlagen?

Frau von der Leyens sieben Schätze stünde – laut der ihrer Klageschrift mangelnd staatlich offerierten Infrastruktur des Kindesentzuges – letztlich das Analphabetentum bevor. Dabei gibt es doch seit 1996 für Kinder ab drei Jahren und bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung. Gebracht hat er nichts, wie Sie eindrucksvoll, wenn auch spiegelverkehrt referieren: Eine Großfamilie sind die von der Leyens. Eine konservative. Mit intakten Strukturen. Solche, die Sie lieber aufgebrochen sähen in farblos-bunte Aufbewahrungskästen mit marxistisch-leninistischer Vollversorgung für das prägungsempfängliche Kindeshirn. 

Foto: Bundesministerium der Verteidigung

Sie wissen es besser. Sie schließen sich ihm an, dem Wunsch, dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss, Kinder zu haben. Elternschaft braucht in der Tat keine Idealisierung. Ihr muss nur endlich wieder der gesellschaftliche Rahmen gegeben werden. Und der funktioniert ohne ideologische Phantastereien von mit dem Mutterkreuz und Sozialversicherungsnummer gebrandmarkten, durchnummerierten Gebärmaschinen am Fließband der Wertschöpfungskette. Das „Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter“ (1952) einzuführen war vielleicht wichtig. Und Sie haben in Westdeutschland seit 1977 das Recht, als verheiratete Frau und Mutter ohne Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt wildernd Ihr Glück zu versuchen. 

Als Frau dennoch für den Kinderwunsch etwas Mehrarbeit leisten zu müssen, mag vielleicht ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, denn sie leisten ja ach so viel. Lebensgefährlich ist das alles aber nicht. Für Sie, die Sie klagen. Aber vielleicht – und lesen Sie Ihren Kassandraruf bitte noch einmal genau – für den Fortbestand unseres Volkes und das Glück von Familien.

Kollegiale Grüße aus der Glosse

Christian Knuth (im echten Leben Feminist)


Frauen und Gedöns – innovated by Gerhard Schröder and still dated

Laut Oxford Wörterbuch ist Gedöns ein Substantiv im Neutrum, das Getue oder Aufheben um eine Sache bedeutet. Warum so ein Aufheben um eine Glosse? 

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) soll einmal die Familienpolitik und die ihr anhängende Gleichstellungsthematik nicht nur der Geschlechter, sondern auch der sexuellen Orientierungen Gedöns genannt haben. Das wurde ihm von einem gewissen Friedrich Merz (CDU) im Wahlkampf 2002 im Bundestag genüßlich vorgehalten. Ein Jahr nach Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und mit Liebesbekundungen gen heile Familienwelt garniert: Nicht nur die Familie, auch die Ehe stehe unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Nicht jede beliebige Bindung könne ihr gleichgestellt werden. (Quelle)

Das ist nun knapp 20 Jahre her und glücklicherweise weder damals noch heute die beherrschende Meinung der alten Tante SPD. Wer die Auseinandersetzung zwischen SPD-Gremien und SPDqueer um die Debatte über #ActOut und die Glosse von Frau Kegel verfolgt, der wünscht sich das, was auch der Konsens jenes Abends war: Wir müssen wieder lernen, neugierig und offen zu sein. Auch gegenüber abweichenden Meinungen.

Was wir aber nicht sein müssen, nicht sein dürfen, ist kompromissbereit jenen gegenüber, deren Meinungen das Unwerte kennen. Darum zum Abschluss der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD):

Da Sandra Kegel als Journalistin und Literaturkritikerin seit Jahrzehnten mit Sprache arbeitet, trauen wir ihr zu, ihre Worte mit Bedacht und Präzision zu wählen. Man muss es schon deutlich sagen: Aus diesen Zeilen spricht eine Verachtung und Boshaftigkeit für LSBTI, die fassungslos machen muss.  {...}

So wollte Kegel ihren Artikel zu #actout unter anderem als „Ideologiekritik“ verstanden wissen. Zu der Verunglimpfung und dem Betrugsvorwurf gesellte sich nun also noch die Diffamierung der Bemühungen um Gleichstellung als „Ideologie“. Damit bedient sich Kegel nun tatsächlich auch rechtspopulistischen bis rechten Kampfbegriffen, die regelmäßig in AfD-Reden oder den Auseinandersetzungen in Polen verwendet werden, wenn dort vor vermeintlicher „Gender-Ideologie“ oder „LGBT-Ideologien“ gewarnt wird. 

Now we are talking.

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