Politikversagen: Pocken-Poker mit Mpox

Dass es zu einer neuen Infektionskrankheit sowohl Test, als auch Behandlungsoptionen und sogar eine wirksame Impfung gibt, die dann auch noch die gesamte Zielgruppe lieber gestern als heute nutzen möchte, kann wohl als Glücksfall bezeichnet werden. Ein Sexer im Lotto sozusagen im Fall Mpox. Wie kam es zum Versagen und was muss jetzt getan werden?

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Dass in einem der reichsten Länder dieser Erde nicht eines dieser Module zur frühzeitigen Beendigung des Ausbruchs in ausreichender Menge genutzt wurde, ist als völliges Versagen zu werten. Ja, die Zahlen gehen zurück. Glück gehabt. Zurzeit. Fachwissenschaftler und Ärzt*innen bleiben besorgt:

Foto: Praxisteam Friedrichshain

Gleiches gilt theoretisch für die politisch und in der Verwaltung Zuständigen in der Welthauptstadt der freien Liebe. Liebe hier übrigens als ein Synonym für Sex. Nur falls das nicht bekannt ist. Berlin kann zwar keine Wahlen, aber seine Unique-Selling-Points kennt es inzwischen sehr genau, erforscht sie akribisch und weiß sie auch meist geschickt einzusetzen. Nur scheint das beim Thema Mpox nicht mehr zu gelten. Und dann das: 

CDU treibt Rot-Grün-Rot

Foto: Dirk Reitze

Der queerpolitischen Sprecher der Union im Berliner Abgeordnetenhaus, Stefan Evers, schrieb zur Beantwortung einer Anfrage zum Stand Impfkampagne Berlins im Sommer 2022: 

„Nach wie vor gibt es keine Klarheit über den Fortgang der Impfkampagne in Berlin. Die Nachfrage nach Impfungen ist weiter hoch, der Impfstoff selbst aber so gut wie nicht mehr vorhanden. Es ist derzeit überhaupt nicht klar, wann neuer Impfstoff Berlin erreicht und wieder Impftermine vergeben werden können.“ Er fordert im Namen der CDU, er „erwarte vom Senat mehr Engagement.“ 

Tatsächlich war die Antwort der Regierungsbank völlig unverständlich. Kurz zusammengefasst, sah man keine Probleme und schob die Karte des Handelns von sich. Rückwirkend betrachtet, ist die Strategie – soweit das Durcheinander als eine solche zu bezeichnen ist – wohl gründlich in die Hose gegangen.

Heißer Jahresauftakt im anlaufenden Wahlkampf

Ein aktueller Brandbrief des LSVD Berlin-Brandenburg und ein Beitrag des rbb belegen, dass die Impfkampagne in Berlin völlig zum Erliegen gekommen ist und zum Jahreswechsel die Zweitimpfungen nicht mehr bedient werden konnten, geschweigedenn Erstimpfungen durchgeführt werden können. Die Schwerpunktpraxen, die von der Stadt mit den Impfungen betraut wurden, machen im rbb-Beitrag ihrem Ärger Luft. So heißt es: 

Zwei Fachärzte für Infektiologie aus Prenzlauer Berg haben den Brief der KV auf ihrer Webseite veröffentlicht. Man erlebe die Situation mit Unglauben und Entsetzen, heißt es dort. {…} 50 Termine, die in den ersten beiden Wochen des Jahres geplant waren, habe man absagen müssen, heißt es.

Eine Schwerpunktpraxis in Mitte teilt auf ihrem Online-Auftritt mit: ‚Leider nimmt das Chaos rund um die Affenpocken (Mpox) kein Ende.‘ Resigniert schreiben die Mediziner: ‚Gerne steht man Euch sicher bei der Senatsverwaltung für Fragen zur Verfügung.‘“

Auch bei HIV-Schwerpunktarzt Ingo Ochlast ist der Frust auf die Berliner Politik groß. Die Praxen müssten nun die Versäumnisse in der Organisation der Impfkamgne austragen, sagt er. ‚Es wurden Dinge gesagt, die dann hinterher wieder zurückgenommen wurden. Es wurden Impfempfehlungen ausgegeben, die dann wieder korrigiert wurden. Das zieht sich jetzt wie ein roter Faden durch diese ganze Impfkampagne.‚"

Und so geht es über mehrere Absätze im hervorragend recherchierten Bericht der rbb-Kolleg*innen, den ihr HIER in Gänze lesen solltet. Der LSVD fordert in seinem am 12. Januar versendeten Brandbrief ein sofortiges Ende des Impfchaos. Alfonso Pantisano aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) kommentiert: 

„Entweder fehlt es den entsprechenden Stellen der Senatsverwaltung an Fachkompetenz oder die Wichtigkeit des Schutzes gegen das Mpox-Virus wird völlig verharmlost. Beides wäre ein absoluter Skandal. Die Zahlen der mit Mpox infizierten Menschen sinken nur deshalb, weil sich Menschen präventiv impfen lassen. Das betrifft vor allem auch unsere Community, die aktiv Verantwortung für sich und andere übernimmt.“ 

Sein Berliner Vereinskollege Christopher Schreiber, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Berlin-Brandenburg ergänzt:

„Leider haben sich die Missstände bei der Kommunikation der Gesundheitsverwaltung mit unserer Community immer noch nicht verbessert, so ist von der stockenden Impfkampagne auf den Informationsseiten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales keine Silbe zu lesen. Gerade hier informieren sich aber impfwillige Menschen, die dann aktuell in den Praxen enttäuscht werden. Das ist absolut widersinnig.“

Oberster Impfkampagnenmanager und damit Spielführer beim Pocken-Poker: Ein Herr Karl Lauterbach

Er soll sich mit Pandemien leidlich auskennen, munkelt Mensch. Sein Haus hat seit Jahren über die Zentrale zur gesundheiltlichen Aufklärung (BzgA) viel Geld in die gezielte Erforschung und Aufklärung der Zielgruppe von Mpox gesteckt. Die Aidshilfe, die Deutsche. Karl Lauterbach bestellt aber nicht die von der DAH mit ihren Fachleuten errechnete benötigte Impfdosenzahl, sondern setzt auf die sehr viel weniger spezialisierten Zahlen des Robert-Koch Institutes. Diese fallen dann auch gleich mal viel kleiner aus. Und so spielen wir halt gerade das, was Epidemiologen so gerne nicht spielen: Poker gegen die Pocken. Warum? Das fragten wir inzwischen bei mehreren Stellen1).  

Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe im Interview

Foto: Screenshot ARD

Wie bewertet die Deutsche Aidshilfe / IWWIT die Impfstrategie gegen die Verbreitung von Mpox und deren Umsetzung durch das Bundesgesundheitsministerium?

Das Bundesgesundheitsministerium hat zu Beginn des Ausbruchs schnell gehandelt und Impfstoff bestellt. Der Impfstart in den einzelnen Ländern verlief dann leider zum Teil sehr schleppend, zum Beispiel in Berlin und Baden-Württemberg. Hier hätten viele Mpox-Fälle vermieden werden können. Danach ist der Bund öffentlich lange nicht auf Forderungen und Berechnungen der DAH nach ausreichend Impfstoff eingegangen. Viele schwule und bisexuelle Männer fühlten sich in dieser Phase von der Politik alleingelassen. Heute steht in allen Bundesländern Impfstoff zur Verfügung. Eine „Strategie“ gibt es jedoch noch nicht. 

Anders formuliert: Deutschland braucht eine Impfstrategie gegen Mpox. Das bedeutet: Auch langfristig muss ausreichend Impfstoff für alle Menschen mit einem Mpox-Risiko verfügbar sein. Die Impfung sollte über die Regelversorgung erfolgen und zugleich auch Menschen ohne Krankenversicherung oder Aufenthaltspapiere zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass weitere Impfstoffbestellungen notwendig sein werden und dass der Impfstoff über Apotheken erhältlich sein sollte.

Zu einer Strategie gehört auch, auf allen Ebenen die Öffentlichkeit und die besonders betroffenen Gruppen aktiv einzubeziehen und darüber zu informieren. 

Darüber hinaus muss Deutschland sich dafür einsetzen, dass die Impfung überall in Europa und auch weltweit zur Verfügung steht. Epidemien lassen sich in einer globalisierten Welt nicht mehr lokal oder regional beenden. 

Wie kommentiert die Deutsche Aidshilfe / IWWIT die rechnerische Unterversorgung mit Mpox-Impfstoff von 740.000 Dosen für 370.000 Personen gegenüber der auf Grundlage von EMIS 2017 errechneten und von ihr geforderten notwendigen Menge? Warum reichen auch die bisher beschafften 260.000 Impfdosen für 130.000 Personen offenbar aus, das Infektionsgeschehen fast zum Erliegen zu bringen? 

Das Infektionsgeschehen in Deutschland hat sich vor allem beruhigt, weil viele schwule und bisexuelle Männer die Zahl ihrer Sexkontakte reduziert haben. Die Impfung verhindert mittlerweile natürlich ebenfalls Infektionen. Sie ist unverzichtbar, um weiteren Ausbrüchen vorzubeugen. Zu beachten ist dabei: Es gibt mehr Mpox-Fälle als die Statistik ausweist. Die dreiwöchige Isolationspflicht bei einem positiven Befund schreckt viele Menschen mit Symptomen ab, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. 

„Mpox werden uns als sexuell übertragbare Infektion erhalten bleiben, also kann es jederzeit zu weiteren Ausbrüchen kommen.“

Wir gehen von mehr als einer halben Million Menschen aus, für die eine Impfung in Frage kommt und kommunizieren gerade noch einmal sehr deutlich, dass eine Impfung empfehlenswert ist. Wer sich jetzt impfen lässt, beugt vor, auch für den Fall neuer Ausbrüche! Es ist gut, dass jetzt gerade Impfstoff vorhanden ist. Mittelfristig werden wir aber mehr Impfstoff brauchen. 

Wie hoch wird die Dunkelziffer geschätzt?

Das lässt sich nur sehr schwer sagen – wie so oft, wenn es um Dunkelziffern geht. Anekdotische und nicht-repräsentative Informationen lassen aber darauf schließen, dass ein beträchtlicher Anteil der Mpox-Infektionen keinen Eingang in die Statistik findet. 

Lag EMIS 2017 so weit daneben mit der Zahl sexuell sehr aktiver MSM?

Wir sehen keinen Anlass, die Angaben der Befragten in Zweifel zu ziehen. 

Oder Ist der Verzicht auf Sex so groß? 

Viele Männer, die Sex mit Männern haben, berichten, dass sie auf Sex verzichtet haben, um sich nicht mit Mpox anzustecken. Eine Studie aus den USA und Berichte aus anderen Ländern stützen diese These.

Für wie wahrscheinlich hält die Deutsche Aidshilfe / IWWIT einen weiteren Ausbruch bzw,. eine signifikante Erhöhung der Infektionen mit Mpox in Deutschland?

Mpox werden uns als sexuell übertragbare Infektion erhalten bleiben – in Deu

Foto: Emmanuele Contini / NurPhoto / AFP

tschland und international. Damit besteht das Risiko weiterer Ausbrüche beziehungsweise wieder steigender Infektionszahlen. Vorbeugen lässt sich dem mit einer Strategie, die Impfungen und entsprechende Kommunikation umfasst. 

„Es ist wichtig, dass Deutschland sich auch für die Versorgung anderer Länder mit Impfstoff einsetzt.“ 

So lange Ausbrüche in anderen Ländern möglich sind, müssen wir auch hier damit rechnen. Viele schwule Männer reisen gerne und haben Sex in verschiedenen Städten und Ländern. Wer anderen hilft, sich zu schützen, schützt auch sich selbst.

Wird die aktuelle Impfkampagne auch nach Aufbrauchen der 260.000 Impfdosen fortgesetzt? 

Das hoffen wir doch sehr. Im Moment gibt es Impfstoff und wir empfehlen ihn schwulen und bisexuellen Männern in unserer Kampagne. Für eine „Impfkampagne“ ist natürlich entscheidend, dass dauerhaft Impfstoff verfügbar ist. Wir hoffen sehr, dass das Bundesgesundheitsministerium dafür sorgen wird.

Plädiert die Deutsche Aidshilfe für eine dauerhafte Aufnahme der Mpox-Impfung in den Präventionskoffer gegen STI? Wenn ja, wie wahrscheinlich ist das und laufen betreffende Verfahren gegenüber RKI, STIKO und sonstig Verantwortlichen? 

Mpox werden zurzeit fast hierzulande fast ausschließlich beim Sex zwischen Männern übertragen. Wir machen uns stark für eine Impfstrategie, die allen schwulen und bisexuellen Männern mit wechselnden Partnern eine Impfung ermöglicht, und empfehlen diese Impfung – ähnlich wie bei Hepatitis A und B, die schwulen Männern ja auch empfohlen und von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Warum sollte eine neue Infektion, die durch eine Impfung verhindert werden kann, anders behandelt werden als andere?

Wir hoffen sehr, dass auch die STIKO dieser Auffassung folgt. Bisher empfiehlt sie die Impfung für Männer mit „häufig wechselnden Partnern“. Diese Definition lässt großen Interpretationsspielraum und wurde bisher sehr eng ausgelegt – daher die Zahl 130.000, die sich auf Männer mit 10 oder mehr Partnern bezieht. In der ärztlichen Praxis haben natürlich zurecht auch andere die Impfung bekommen.

Wir plädieren dafür, allen Männern mit wechselnden Partnern die Impfung zu ermöglichen und zu empfehlen. Denn sie alle haben ein Risiko und ein Recht auf Schutz. Mit dem BMG und dem RKI sind wir dazu in Dialog. Über ihre Position können sie aber nur selbst Auskunft1) geben.

*Interview: Christian Knuth


1)Das BMG hat auf eine diesbezügliche Anfrage der Redaktion von Anfang November nicht reagiert. 

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