Ampel-Sondierungen: Trans* Menschen vergessen?

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In ihrem Sondierungspapier haben die Ampel-Parteien Schwulen, Lesben und Bisexuellen den Diskriminierungsschutz im Grundgesetz in Aussicht gestellt, allerdings nicht geschlechtlichen Minderheiten. Aktivist*innen klagen deshalb: „Dies würde nur das 'LGB' von 'LGBTIQ+' schützen.“ Kritik gab es besonders für die SPD für die Ernennung von Leni Breymaier zur Sprecherin des Arbeitskreises „Gleichstellung, Vielfalt“.

Zuerst die gute Nachricht: Die von SPD, Grünen und FDP angestrebte Ampel-Koalition hat in ihrem Sondierungspapier von queerpolitischen Reformen gesprochen. Zwar sind die Pläne in dem insgesamt 12 Seiten umfassenden Schreiben noch nicht sehr konkret, dennoch ist klar: Einiges könnte sich ändern. So heißt es unter anderem, die Parteien würden in allen Bereichen entschlossen gegen Queer-Feindlichkeit vorgehen – genannt neben anderen gesellschaftlichen Problemen wie Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit. Explizit hervorgehoben wurden folgende Aktionen:

„Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen.“

Sowie:

„Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen und den Begriff "Rasse" im Grundgesetz ersetzen.“


LSVD: „Vielversprechender Auftakt“

Besonders der letzte Punkt führte nach Bekanntwerden des Papier zu Freude beim LSVD. Es sei ein „vielversprechender Auftakt", so Vorstandsmitglied Stefanie Lünsmann-Schmidt in einer Pressemitteilung. Dieser müsse jedoch weiter präzisiert werden und sich in konkreten Maßnahmen widerspiegeln – unter anderem seien klare Regelungen zum Schutz, zur Aufnahme und zur Anerkennung von LSBTI-Geflüchteten nötig. Dennoch biete das Sondierungspapier sehr gute Ansätze:

„Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sieht ein ernsthaftes Bemühen, Vielfalt anzuerkennen und damit auch der Lebensrealität von queeren Menschen in unserem Land in der Gesellschaftspolitik Rechnung zu Tragen.“

Auch die queerpolitischen Sprecher*innen der grünen Bundestagsfraktion begrüßten die Fortschritte, die das Sondierungspapier verspricht und sprachen von einem dringend notwenigen Aufbruch in der Queerpolitik, der nun nach Jahren des Stillstandes endlich möglich sei. Die SPDqueer zeigte sich ebenfalls zuversichtlich und äußerte keine Kritik an den genannten – und nicht genannten – Vorhaben der möglichen neuen Bundesregierung.


Kritik: „Trans*, inter* und queere Menschen gehen leer aus“

In einer Pressemitteilung fordert hingegen die Initiative Grundgesetz für alle: „Wir brauchen mehr!“ Die Ergänzung von Artikel 3 GG um sexuelle Identität reiche nicht aus. Zwar betonte auch die Initiative, sie würde die vorgelegten Punkte zur Verbesserung der Situation von queeren Menschen in Deutschland sehr begrüßen, warnte jedoch davor, das Grundgesetz lediglich um „sexuelle Identität“ zu ergänzen. Der Zusatz „geschlechtliche Identität“ sei ebenfalls unabdingbar. Trans*, inter* und queere Menschen würden ansonsten in puncto verfassungsmäßigen Schutz leer ausgehen. 

Christian Gaa, Initiator von Grundgesetz für alle, schrieb:

„Dies würde nur das 'LGB' von 'LGBTIQ+' schützen.“

Diese Erkenntnis baue nicht auf einem Bauchgefühl auf, so Gaa, sondern auf den einhelligen Stellungnahmen von renommierten Rechtsexpertinnen sowie des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags. Weder „Geschlecht“ noch „sexuelle Identität“ reichten demnach aus, um die vielfältigen geschlechtlichen Identitäten durch das Grundgesetz zu schützen. Dies dürfe nicht ignoriert werden, so Gaa. 

Auch Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. äußerte Kritik an den Plänen:

„Ich finde es frustrierend, dass die geschlechtliche Identität immer wieder 'vergessen' wird.“

Man habe in Ungarn erlebt, wie trans* Personen per Gesetz ausgelöscht werden und müsse dem vorbeugen. Mehrheitsverhältnisse könnten sich schnell ändern, neue Regierungen schnell gebildet werden, warnte Monro.


SPD: Transfeindliche Abgeordnete kümmert sich um queere Rechte

Foto: Fionn Große, CC BY-SA 4.0, wikimedia

Und dann auch noch das: Die SPD sorgte mit einer Personalie für Entsetzen in der Queercommunity. Die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier soll mit Grünen und FDP über die künftigten queerpolitischen Ziele verhandeln, wurde zur Sprecherin des Arbeitskreise „Gleichstellung, Vielfalt“ ernannt – in queeren Kreisen gilt Breymaier allerdings als transfeindlich. Einer der Gründe dafür ist ein Facebook-Post, in dem sie im Mai dieses Jahres verdeutlichte, sie würde ein Selbstbestimmungsgesetz für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen ablehnen. Sie hätte den Gesetzentwürfen von FDP und Grünen auch dann nicht zugestimmt, wenn die Abstimmung freigegeben wäre, erklärte sie damals.

Die SPDqueer reagierte im Mai entsetzt auf die Äußerungen der 61-Jährigen. Mara Geri, Landesvorsitzende der SPDqueer Berlin, bezeichnete Breymaiers Standpunkte als deckungsgleich mit denen, die man von sogenannten TERF's und von rechts Außen zu hören bekäme. Nach der Ernennung von Breymaier zur Sprecherin des Arbeitskreises, dem für die SPD übrigens keine queere Person angehört, erklärte die stellvertretende SPDqueer Bundesvorsitzende Sarah Unger auf Twitter, man sei „irritiert“, dass die Wahl ausgerechnet auf Breymaier gefallen sei.

„Wir sind im Austausch mit Mitgliedern des @spdde PV und bringen unser Missfallen deutlich zum Ausdruck. Wir erwarten, dass die Ankündigungen des #Zukunftsprogramm konsequent umgesetzt werden!“


HINTERGRUND/D/Parteien/Wahlen/Koalition/SPD/Grüne/FDP

Welche weiteren Reformen und Pläne beschäftigen die angestrebte Ampel-Koalition? Im Folgenden eine Zusammenfassung:

Moderner Staat

Die Digitalisierung soll vorangetrieben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren möglichst halbiert werden. Neue Formen des Bürgerdialogs sollen mehr Chancen zur Teilhabe bieten.

Klima und Umwelt

Um Deutschland bei Klimaschutz auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, soll der Ökostrom-Ausbau drastisch beschleunigt werden. Solaranlagen sollen bei gewerblichen Neubauten Pflicht, bei neuen Privathäusern die Regel werden. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für Windkraft an Land ausgewiesen werden. Der Kohleausstieg soll "idealerweise" bereits bis 2030 erfolgen. Unterstützt wird der EU-Vorschlag, ab 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zuzulassen; in

Deutschland soll dies schon früher wirksam werden. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen soll es nicht geben. Artenvielfalt soll besser geschützt werden.

Arbeit

Der gesetzliche Mindestlohn soll auf zwölf Euro steigen. Die Verdienstgrenze für Minijobs wird auf 520 Euro erhöht, für Midijobs auf 1600 Euro. Arbeitszeit soll flexibler gestaltet werden. Der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt soll - auch bei Führungspositionen - entgegengewirkt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden.

Soziales

Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden, das auch mehr Zuverdienstmöglichkeiten enthält. Familienpolitische Leistungen sollen in einer Kindergrundsicherung gebündelt werden. Geplant ist eine Offensive für mehr Pflegepersonal. Eine Bürgerversicherung soll es nicht geben - es bleibt beim Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Das Bafög soll elternunabhängiger gestaltet werden.

Renten

Das Rentenniveau soll beim Stand von 48 Prozent gesichert werden, eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird ausgeschlossen. Erstmals soll es einen Einstieg in eine teilweise Kapitaldeckung für die gesetzliche Rentenversicherung geben. Die private Altersvorsorge soll durch einen öffentlich verantworteten Fonds gestärkt werden.

Haushalt und Finanzen

Notwendige Zukunftsinvestitionen sollen "im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse" ermöglicht werden, besonders für Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung. Steuern wie die Einkommen-, Unternehmen- und Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden. Auch soll es keine neuen Substanzsteuern geben - wie zum Beispiel eine Vermögensteuer. Steuerhinterziehung und -vermeidung sollen entschiedener bekämpft werden. Um Spielräume zu gewinnen, soll der Haushalt auf überflüssige sowie klimaschädliche Subventionen überprüft werden.

Wirtschaft und Innovation

Unternehmen sollen bei der anstehenden sozial-ökologischen Transformation "bestmöglich" unterstützt werden - insbesondere auch Mittelstand und Handwerk. Die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Unternehmen soll attraktiver werden. Der Anteil der gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung soll auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen.

Wohnen und Mieten

Um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen, sollen pro Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 öffentlich geförderte. Umgesetzt werden soll dies durch ein "Bündnis bezahlbarer Wohnraum". Geltende Mieterschutzregeln sollen verlängert werden, einen Mietendeckel soll es aber nicht geben. Die energetische Gebäudesanierung soll vorangetrieben, Klimaschutz bei Neubauten gestärkt werden.

Freiheit, Vielfalt und Demokratie

Die Ampel-Partner wollen Vielfalt in der Gesellschaft als Chance begreifen, gerechte Teilhabe sichern und Diskriminierung klar entgegentreten. Gesetze etwa im Familienrecht sollen entsprechend angepasst werden. Jede Form der Menschenfeindlichkeit soll bekämpft werden. Genannt werden Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus und Queer-Feindlichkeit. Bürgerrechte sollen gestärkt werden.

Migration

Deutschland ist ein Einwanderungsland, dies soll im Staatsangehörigkeitsrecht zum Ausdruck kommen. Die Einwanderung von Fachkräften soll unter anderem durch ein Punktesystem erleichtert werden. Gut integrierte Ausländer in Deutschland sollen leichter einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, auch durch den sogenannten "Spurwechsel" von Asylbewerbern. Gegenüber Flüchtlingen wird eine humanitäre Verantwortung betont. Es soll legale Möglichkeiten zur Einreise geben, Familienzusammenführung, aber auch Abschiebungen sollen beschleunigt werden.

Sicherheit

Alle sollen sich in Deutschland sicher fühlen. Prävention soll ausgebaut, die Polizei gut ausgestattet und ausgebildet werden. Verbessert werden soll auch der Schutz vor Cyberattacken.

Außen und Verteidigung

Die EU soll stärker, demokratischer und handlungsfähiger werden. Internationales Handeln soll an den UN-Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden. Die Partner bekennen sich klar zur Nato. Die Ausrüstung der Bundeswehr soll verbessert werden, das Nato-Ziel eines BIP-Anteils von zwei Prozent für die Verteidigungsausgaben wird aber nicht genannt. Es soll eine abrüstungspolitische Offensive geben, Rüstungsexporte sollen restriktiv gehandhabt werden.

Wahlrecht

Ein neues Wahlrecht soll das Anwachsen der Zahl der Bundestagsabgeordneten verhindern. Das Wahlalter soll für Bundestag und EU-Parlament auf 16 Jahre gesenkt werden. *AFP/lm

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