Benedict Cumberbatch: „Ich will das Anderssein feiern!“

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© Foto: SquareOne Entertainment

Benedict Cumberbatch gilt für seine Rolle als schwules Genie in The Imitation Game schon jetzt als sicherer Oscar-Kandidat. Ein Gespräch über Besonderheiten, Verallgemeinerungen und sein Leben vor und nach Sherlock.

Alan Turing war der Mann, der den Zweiten Weltkrieg entschied. Er war es, der den Codebrecher Enigma baute, mit dem die Engländer ab 1942 in der Lage waren, deutsche Funksprüche zu entschlüsseln und so den U-Boot-Krieg für sich zu entscheiden. Turing war der Vater dessen, was wir heute als Informatik kennen, und hat mit der Turing-Maschine auch den ersten Computer der Welt gebaut. Aber weil er schwul war, wurde er 1952 zu einer chemischen Sterilisation, einer erzwungenen Hormontherapie, verurteilt, die so schwere Nebenwirkungen hatte, dass Turing nicht mehr leben wollte und sich 1953 mit einem vergifteten Apfel das Leben nahm. Erst im Dezember 2013 hob Elizabeth II. das Urteil gegen Turing auf, sechzig Jahre nach seinem Tod. Schon einige Jahre vorher hatte sich Premierminister Gordon Brown öffentlich und im Namen des gesamten englischen Volkes bei dem verstorbenen Wissenschaftler für das, was man ihm angetan hatte, entschuldigt. In The Imitation Game setzen Regisseur Morten Tyldum und seine Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch und Keira Knightley Turing nun ein elegantes, sehr anrührendes, hochverdientes filmisches Denkmal. Insider vermuten, dass The Imitation Game bei der Oscar-Verleihung 2015 abräumen wird. Bis dahin sollte sich jeder das unterhaltsame Meisterwerk selbst ansehen. Es lohnt sich sehr.

MR. CUMBERBATCH, WAREN SIE EIGENTLICH MIT ALAN TURING VERTRAUT, ALS MAN IHNEN DIE ROLLE IN THE IMITATION GAME ANBOT?

Ich ging in Manchester zur Uni, da hörte ich natürlich von seiner Geschichte. Aber insgesamt ist sie in England längst nicht so bekannt, wie sie eigentlich sein sollte. Außerdem hatte ich die Fernsehaufzeichnung des Theaterstücks Breaking the Code gesehen, in dem Derek Jacobi Turing auf ganz fantastische Weise spielte. Letztlich hatte ich allerdings bestenfalls eine Idee von ihm im Kopf. Wirklich kennengelernt habe ich ihn erst durch das Drehbuch und meine Recherche, für die ich auch mit Menschen wie seinen Nichten sprach, die ihn noch persönlich gekannt hatten.

FINDEN SIE ES LEICHT, EIN GENIE WIE IHN ZU SPIELEN?

Das, was ihn letztlich sowohl zum Helden als auch zur tragischen Figur gemacht hat, war nicht sein Genie, sondern seine Menschlichkeit. Er war ganz subtil und unauffällig, kompromisslos und ungewöhnlich. Aber eben auch sehr stoisch und still. Er hat es nicht wissentlich darauf angelegt, zum Märtyrer zu werden. Vielmehr ging es ihm einfach darum, sich selbst treu zu bleiben. Er selbst sah sich weder als Opfer noch als Held, sondern hat einfach seine Arbeit gemacht und sich eben so verhalten, wie es seinem Charakter entsprach.

WAS IHN DANN ABER DOCH ZUM OPFER MACHTE, WAR SEINE HOMOSEXUALITÄT. HIER UND DA WURDEN KRITISCHE STIMMEN LAUT, WEIL THE IMITATION GAME TURINGS SCHWULES LEBEN NICHT EXPLIZITER DARSTELLT.

Wir verstecken ja nicht, dass er ein schwuler Mann ist. Im Gegenteil: Für mich spielt die Liebe eine ganz zentrale Rolle im Film und ist explizit präsent. Sowohl die zu seinem Schulfreund Morcom, aber auf eine andere Art auch die zu seiner kurzzeitigen Verlobten Joan. Hätten wir das Gefühl gehabt, es bedürfe für das Verständnis der Figur auch noch einer Sexszene, hätten wir die ohne mit der Wimper zu zucken gedreht. Doch in unserer Geschichte geht es eben gerade um das, was nicht zu sehen ist. Um das Unterdrückte, um Geheimnisse. Und seine Homosexualität war nun einmal eines. Musste sie damals ja auch sein.

Foto: Jack English/The Weinstein Company

HAT DER FILM FÜR SIE TROTZDEM EINE BOTSCHAFT FÜR DAS HEUTIGE PUBLIKUM?

Für mich geht es in Turings Geschichte vor allem darum, das Anderssein zu akzeptieren. Nein, besser: zu umarmen. Und zu erkennen, dass die Unterschiede zwischen uns Menschen egal ob es um Sexualität, Religion oder Hautfarbe geht letztlich so klein sind, dass sie kein Hindernis darstellen.

ALS HETEROSEXUELLER WEISSER BRITE AUS GUTEM ELTERNHAUS FÜHLT MAN SICH VERMUTLICH NICHT SO OFT ANDERS, ODER?

Ach kommen Sie. Ich glaube, das Gefühl anders zu sein oder irgendwo nicht hinzugehören kennt doch jeder. Weil man auf einer Party herumsteht und nicht weiß, was man da soll. Weil man an seinem Körper Haare entdeckt, wo früher keine waren. Weil man sich einbildet, alle um einen herum seien besser, weiter, normaler. Das sind auf einer ganz grundsätzlichen Ebene alles die gleichen Gefühle von Anderssein. Aber natürlich würde ich meine Erfahrungen nie gleichsetzen mit jemanden, der tatsächlich ausgegrenzt oder verfolgt wird. Angesprochen fühlen sollte sich vom Kern unseres Films aber trotzdem jeder.

WARUM?

Mir ist es wichtig, die Menschen zu feiern, die anders sind, denn heutzutage ist das plötzlich wieder ganz schön gefährlich. Fundamentalismus, Extremismus, Nationalismus ich erschrecke jeden Tag, wohin sich unsere Welt entwickelt. IS köpft Menschen, die nicht ihren Glauben teilen. In Russland muss man sein Schwulsein verstecken. Und selbst in demokratischen und westlichen Ländern wie Griechenland werden in Krisenzeiten all diejenigen als Sündenböcke ausgemacht, die anders sind. Angst und Ignoranz sind eine schreckliche Kombination. Aber deswegen hoffe ich, dass unser Film zumindest ein bisschen zeigen kann, wie sich Unterschiede überbrücken lassen, wenn man sich nur gegenseitig zu verstehen versucht.

TÄUSCHT DER EINDRUCK ODER HABEN SIE VIELLEICHT GERADE AUS DIESEM GESELLSCHAFTSPOLITISCHEN ASPEKT HERAUS EIN BESONDERES INTERESSE AN DEN LEBENSGESCHICHTEN REALER PERSONEN WIE TURING ODER LETZTES JAHR JULIAN ASSANGE?

Dazwischen lagen allerdings auch Smaug im Hobbit, meine Rolle in Im August in Osage County und Sherlock. Das sind alles keine realen Persönlichkeiten gewesen. Für mich dreht sich alles um Abwechslung, und wenn mich jetzt jemand auf Teufel komm raus in eine Schublade stecken will, nur weil zwei von vielen Projekten Biopics waren, dann ist mir das viel zu banal. Würde ich solche Filme jetzt zu meiner Spezialität machen wollen, wäre mir das schlicht zu langweilig.

DIE KARRIERE, DIE SIE IN DEN LETZTEN JAHREN HINGELEGT HABEN, IST WIRKLICH BEACHTLICH. WAS HABEN SIE, WAS ANDERE SCHAUSPIELER NICHT HABEN?

Ha, da fragen Sie mich etwas. Ich weiß nicht, ob es da irgendein Erfolgsgeheimnis gibt. Ich arbeite einfach hart. Und gerne. Und wenn ich mal eine Pause habe, dann mache ich das meiste daraus, um wieder Energie zu tanken.

VIELLEICHT SIND SIE EINFACH EIN GENIE, SO WIE EINIGE DER MÄNNER, DIE SIE ZULETZT GESPIELT HABEN ...

Das wäre mir neu. (lacht) Aber ich kann wirklich behaupten, dass mir mein Beruf sehr viel Spaß macht und das hilft vermutlich in allen Jobs, wenn man Erfolg haben will. Ich bin am glücklichsten, wenn ich arbeite! Außerdem habe ich einfach verdammt viel Glück gehabt, weswegen ich gerade auch sehr darum bemüht bin, das Beste aus den sich mir bietenden Chancen zu machen. Und zwar eine nach der anderen. Mein ganzer Fokus gilt immer dem Projekt, an dem ich gerade arbeite. Erst danach biege ich um die Ecke und schaue, was mich als Nächstes erwartet.

GAB ES DENN DIE EINE ECKE, UM DIE SIE BOGEN UND REALISIERTEN, DASS KÜNFTIG ALLES ANDERS SEIN WIRD?

Nein, nicht wirklich. Das war schon ein gradueller Prozess. Natürlich hat Sherlock einiges verändert, weil die Serie einen echten Nerv getroffen zu haben scheint. Aber auch davor habe ich schon eine ganze Weile sehr regelmäßig gearbeitet und tolle Rollen gespielt.

HABEN SIE DURCH DEN ERFOLG ERKENNTNISSE GEWONNEN, VON DENEN SIE SICH WÜNSCHTEN, SIE HÄTTEN SIE SCHON VOR FÜNF ODER ZEHN JAHREN GEHABT?

Wenn ich da länger drüber nachdenken würde, fiele mir sicherlich einiges ein. Aber es gibt nichts, was ich bereue, wenn Sie das meinen. Ich bin sehr zufrieden, wie sich in den letzten zehn Jahren alles entwickelt hat, und muss sagen, dass der Weg bis hierhin viel Spaß gemacht hat. Die Fehler, die man unweigerlich macht, eingeschlossen, denn aus denen lernt man ja. Gerade als Künstler ist das unerlässlich. Natürlich habe ich gelernt, dass man sich nicht zu viel Sorgen um Kleinigkeiten machen darf und akzeptieren muss, dass man über vieles in diesem Beruf keine Kontrolle hat. Aber ehrlich gesagt wusste ich das immer schon. Spätestens durch die Erfahrungen nach der Schauspielschule, als ich erst einmal sechs Monate lang keinen einzigen Job bekam.

*Interview: Jonathan Fink

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