Einmal Himmel und zurück: „Liliom“

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Foto: Regina Brocke

Für die neueste Produktion des Hessischen Staatsballetts hat Ballettdirektor und Chefchoreograf Tim Plegge das Theaterstück „Liliom“ des ungarischen Schriftstellers Ferenc Molnár als Vorlage gewählt – eine dramatische Liebesbeziehung zwischen dem jungen Liliom und der zarten Julie. Wir haben Tim Plegge und den Ensemble-Tänzer Daniel Alwell zum Interview getroffen.

Ein starkes Thema in „Liliom“ ist die zeitlose Frage, ob Menschen sich ändern können oder immer wieder in die gleichen Muster zurückfallen; gibt das Stück Antworten?

Tim Plegge: Ich möchte das nicht gleich zu Beginn auflösen und den Schluss des Stücks vorwegnehmen. Das sollen die Zuschauer und auch die Tänzer am Abend erleben. Ich finde es in meinen Stücken außerdem viel spannender, Fragen nicht konkret zu beantworten, sondern das jedem selbst zu überlassen. So haben wir auch versucht den Abend anzulegen.

Daniel, du tanzt die Hauptrolle in „Liliom“. Erzähle etwas über das Stück und die Rolle!

Daniel Alwell: Die Geschichte ist sehr tragisch, aber auch wie ein wunderbares Märchen. Liliom ist eine komplizierte Person: Es fällt ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen, was ihn weder liebenswert noch zugänglich macht. Es war eine Herausforderung, diese Rolle zu erarbeiten. Liliom hat außerdem einen sehr starken, sehr heterosexuellen, männlichen Charakter. Er ist ein echter Weiberheld! Und ich bin alles andere als ein Weiberheld!

Aber es war großartig, dies zusammen mit Sayaka Kado, die die Rolle von Julie tanzt, zu erarbeiten. Das Stück gemeinsam mit den anderen Tänzerinnen, Tänzern und Tim zu entdecken, hat mir großen Spaß gemacht! Und ich denke, das Publikum wird einen guten Zugang zu den einzelnen Charakteren und dem Stück als Ganzem finden.

Herr Plegge, in der Beschreibung zu Ihrer Person heißt es, dass Sie gerne unterschiedliche Kunstformen über das Medium Tanz in einen kreativen Dialog setzen; wo liegen diese Momente bei „Liliom“?

Tim Plegge: Wir haben bei Liliom zunächst in einem relativ klassischen Theaterrahmen gearbeitet, der die musikalischen Möglichkeiten, die der gesamte Orchesterapparat bietet, vielfältig nutzt und auslotet, um dem Stück gerecht zu werden.

Neben viel tollem Tanz und einem sehr spannenden Bühnenbild von Andreas Auerbach nutzen wir für „Liliom“ auch Video, was sicherlich ein weiteres, genreübergreifendes Element ist. Und wir haben uns im Verlauf der Entwicklung sehr stark mit der Frage beschäftigt, wie wir mit den Orten Rummelplatz und Himmel umgehen. Zusammen mit Tanja Rühl, der Lichtdesignerin, und Andreas Auerbach sind Lichtobjekte entstanden, die uns den ganzen Abend begleiten und eine sehr eigene, starke Identität haben.

Foto: Regina Brocke

Das Hessische Staatsballett besteht seit fünf Jahren in einer Kooperation des Hessischen Staatstheater Wiesbaden und des Staatstheater Darmstadt; wie ist es, zwischen zwei Häusern zu pendeln – und wo ergeben sich positive Synergien?

Tim Plegge: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung, was die Koordination, die Kommunikation und die Organisation von verschiedenen Abläufen anbelangt. Die große Chance dabei ist, dass man doppelt so viel Manpower hat und doppelt soviel Köpfe, die nochmal denken und alle auch unterschiedlich denken. Dadurch muss man sich selbst und die eigenen Ansätze immer wieder hinterfragen. Aus dieser Reibung versuchen wir, etwas für die Region zu schaffen, was eine künstlerische Kraft und einen Bestand haben kann.

Daniel, du bist ein echter Kosmopolit: Du bist in Dublin geboren, hast in Vancouver/Kanada studiert, in Montreal gearbeitet und bist nun im Rhein-Main-Gebiet gelandet. Was hat dich dazu bewogen, nach Deutschland ans Hessische Staatsballett zu kommen?

Daniel Alwell: Unser Beruf hat diese komische Eigenart, uns in jede aufregende Ecke der Welt bringen zu können. Ich hätte mir aber nie vorgestellt, in Wiesbaden zu leben und zu arbeiten.

Als ich 11 war, sind meine Eltern nach Vancouver gezogen, ansonsten wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, in Kanada zu studieren. Ich bin mir sicher, dass ich heute nicht da wäre, wo ich bin, wenn meine Eltern damals diese Entscheidung nicht getroffen hätten. Nach dem College bin ich dann nach Montreal gezogen, um für „Les Ballets Jazz“ zu tanzen – das war schon mein Traum, als ich noch in der Schule war. Als ich „Les Ballets Jazz“ nach drei Spielzeiten wieder verlassen habe, um meine Karriere weiterzuverfolgen, habe ich mich nach europäischen Companies umgesehen, auch weil ich ja eine europäische Staatsangehörigkeit habe.

Das Hessische Staatsballett hat sehr viel von dem gehabt, was ich damals gesucht habe. Das Repertoire ist im Vergleich einzigartig, besonders für Deutschland, und es bietet eine vielfältige Bandbreite. Das war für mich der beste Schritt in die Welt des zeitgenössischen europäischen Tanzes!

Die Produktionen des Hessischen Staatsballetts bestehen nicht nur aus Handlungsballetten; gibt es einen anderen „roten Faden“ der sich thematisch durch die Arbeiten zieht?

Tim Plegge: Von Anfang an war mir sehr wichtig, ein vielfältiges Repertoire aufzubauen. Das heißt, dass neben den Handlungsballetten, die ich choreografiere, aktiv kreierende Choreografen hier ihre Arbeiten zeigen können. Der Moment der Kreation sowie die unterschiedlichen choreografischen und stilistischen Richtungen sind also etwas sehr Entscheidendes.

Das ist für das Publikum spannend, aber auch für die Tänzer, die immer wieder herausgefordert werden und natürlich auch hungrig sind, Neues zu lernen und dadurch nicht in eine Routine verfallen. Das ist sehr wichtig in der Kunst, wie auch im Alltag.

Gleichzeitig haben wir etwas Besonderes geschaffen, was beim Hessischen Staatsballett ebenfalls einmalig ist: Neben der Arbeit am Repertoire, das an sich schon ein sehr vielfältiges ist, bieten wir außerdem ein sehr ausgeprägtes Gastspielprogramm an.

Neben diesen beiden Säulen, der Repertoiresäule und der Gastspielsäule, ist mir persönlich die Vermittlungsarbeit ein sehr großes Anliegen. Wir wollen nicht ausschließlich Frontaltheater machen; die Leute sollen sich bei uns nicht nur etwas anschauen können, sondern ich habe die Erfahrung gemacht, dass es viel ansteckender ist, wenn man selber tanzt. Und wenn man einmal diese Leidenschaft gespürt hat, was es bedeutet, sowohl den Schweiß als auch die Anstrengung und den Muskelkater und die Freude zu erleben, dann kann man das, was auf der Bühne passiert, besser nachvollziehen und nachempfinden. Deshalb haben wir parallel zu unserem Repertoire ein sehr stark ausgeprägtes Vermittlungsprogramm, was unter anderem immer wieder regelmäßig große Projekte auf der großen Bühne beinhaltet.

Foto: De-Da Productions

Daniel, wie bist du Tänzer geworden und was waren die bisherigen persönlichen Höhepunkte deiner Karriere?

Daniel Alwell: Meine Eltern erzählen immer, dass ich tanze, seit ich stehen kann. Naja, ich glaube, ich habe mit Tanz begonnen, weil alle meine Freunde getanzt haben. Und dann habe ich mich darin verliebt. Ich bin mit Musicals aufgewachsen, habe Steptanz-Unterricht genommen, und das alles hat meine Leidenschaft fürs Performen bestärkt, aber auf eine sehr entspannte und vergnügte Art und Weise.

Bis ich 16 Jahre alt war, hatte ich zum Beispiel gar keinen formalen Tanzunterricht, und so habe ich erst viel später Kontakt zum zeitgenössischen Tanz bekommen.

Aber ich sage immer, wenn ich früher damit begonnen hätte, würde ich es heute bestimmt nicht so genießen!

Mit BJM, der Company, in der ich in Montreal getanzt habe bevor ich nach Deutschland kam, hatte ich die tolle Gelegenheit durch die ganze Welt zu touren und auf einigen der größten Bühnen in wirklich wunderbaren Städten wie Tel Aviv, Peking oder New York zu tanzen. Das war ein echtes Highlight in meiner bisherigen Karriere. Und natürlich die Zusammenarbeit mit so fantastischen Künstlern wie Ohad Naharin, Andonis Foniadakis oder Cayetano Soto, um nur ein paar zu nennen.

Das Ensemble scheint bunt gemischt; nach welchen Kriterien stellen Sie die Company zusammen?

Tim Plegge: Mir ist wichtig, dass die Menschen, die ich auf der Bühne sehe, Persönlichkeit haben. Das ist das, was am Ende auch den Zuschauer interessiert, dass sich jemand selbst als Mensch versteht und dieses Menschsein mit seiner Kunst auch weitertragen kann.

Von daher suche ich nach ganz vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten, die sich untereinander ergänzen. Ich versuche nicht eine einheitliche Garde zusammenzustellen, die dann vielleicht austauschbar ist. Das sind im Grunde genommen alles sehr starke Individuen, die speziell sind, genau wie unser Programm auch sehr individuell ist.

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Foto: Regina Brocke

Liliom – Ballett von Tim Plegge

Die dramatische Geschichte handelt vom jungen Paar Liliom und Julie, das am Rand eines Rummelplatzes in armen Verhältnissen lebt; Liliom ist dabei ebenso entschlossen wie überfordert mit seiner Rolle als Partner und werdender Familienvater. Als er sich in höchster Verzweiflung das Leben nimmt, bekommt er eine zweite Chance und kann zurück auf die Erde – aber kann er dies nutzen und aus seinen alten Verhaltensmustern ausbrechen? *bjö

„Liliom“ – Ballett des Hessischen Staatsballetts von Tim Plegge.

22.2., Premiere am Staatstheater Darmstadt,

weitere Vorstellungen in Darmstadt am 28.2., 14.3., 17.5., 2. und 27.6.

Vorstellungen im Staatstheater Wiesbaden: 30.3., 4., 7., 14., 19. und 26.4. sowie 12.6., www.hessisches-staatsballett.de

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