ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Auch wer nach dem Jahreswechsel mit noch ungebrochener Entschlusskraft die meist gleichen aber jährlich neu gefassten guten Vorsätze verfolgt und die Glatteis-Tage der ersten Wochen mit ebenfalls ungebrochenem Steiß durchstanden hat, muss sich der beinahe unausweichlichen Tatsache bewusst sein, auch im Jahr 2017 zwischen zwei- und fünfmal erkältet zu sein. Zu 80 Prozent auch mit Schnupfen.

Foto: Flickr Nutzer sylvar/CC BY 2.0

Um das vorherzusagen muss man keine Glaskugel bemühen sondern lediglich die mitleidslose Statistik.

Hier ist es wichtig zu wissen, dass das Übertragen sowohl von Urlaubstagen als auch Pflichterkältungen ins neue Jahr eigentlich nicht vorgesehen ist, Ausnahmeregelungen aber möglich sind.

Wer also wie die Verfasserin dieser Zeilen schon vor dem Jahreswechsel vorgearbeitet und die erste Malaise in vorauseilender Duldsamkeit schon in der Adventszeit abgeleistet hat, konnte zwar den Vorzug genießen, neben bewährten Hausmitteln wie Hühnerbrühe und einschlägigen Erkältungsmittelchen auch auf hochdosierten weihnachtlichen Blätterkrokant zur Selbsttherapie zurückgreifen zu können, bekommt es aber vielleicht gar nicht angerechnet.

Vor der unumstößlichen Aussicht, dass auch im neuen Jahr wieder an jeder Türklinke und bei jedem Begrüßungsküsschen eine oder gleich mehrere der rund 200 bekannten Erkältungsviren lauern könnten, ist es deshalb ein gutes Gefühl, einiges doch auch noch selbst in der Hand zu haben.

Same procedures

Wohl auch deswegen überfrachten wir den Jahresbeginn immer wieder mit energischen Vorsätzen, nachdem die zuletzt gefassten zwölf Monate Zeit gehabt hatten, ausreichend zu verblassen. So sind sie zwar eigentlich Gebrauchte, aber gefühlt doch irgendwie neuwertig.

Beinahe schon mitreißend war es zur Silvesternacht in den Szene-Bars zu vernehmen, wie mit großem Pathos vorhersehbar uneinlösbare Absichtserklärungen der körperlichen Ertüchtigung vorgetragen und Dutzende Zigarettenpackungen einer schon Wochen vorher erdachten Dramaturgie folgend vernichtet oder verschenkt wurden.

Wie kleine Dampflokomotiven schnauben in diesen frostigen Tagen nun also Mitmenschen in frisch erworbener Sportfunktionskleidung an uns vorbei. Befeuert von der puren Willenskraft des Neujahrsvorsatzes ziehen sie kleine Atemwölkchen hinter sich her und ihren nicht sehr glücklichen Gesichtern sieht man an, dass sie dem Ausdauersport erst seit wenigen Tagen nachgehen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Am Entschluss zur inneren Erneuerung und zu einem gesünderen Lebenswandel ist überhaupt nichts Absprechendes zu finden. Genau genommen trägt das Ritual der Neuausrichtung und der Entsagungsgelübde zum neuen Jahr quasi-religiöse Züge.

Vor dem Hintergrund dieser ähnlichen Rituale und mit dem durch viele Versuche erworbenen Wissen um die Halbwertszeit guter Neujahrs-Vorsätze überrascht es kaum, dass auch die Fasten- und Verzichtsrituale der Weltreligionen nur wenige Wochen umfassen. Möglicherweise ist nach dieser Zeitspanne schlichtweg die natürliche Enthaltsamkeit des Durchschnittsmenschen aufgebraucht. Und vielleicht ist es auch gut so. 

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Möglicherweise muss hier aber von Hexerei die Rede sein, denn wie anders lässt es sich erklären, dass nur wenige Minuten nach der Übernahme des US-Präsidentenamtes durch Donald Trump die Inhalte zu LGBT- und HIV/Aids-Themen von der Website des Weißen Hauses verschwunden waren.

Beinahe zuversichtlich hatte die öffentliche Meinung in der Zeit zwischen Trumps Wahl zum 45. Präsidenten der USA und seinem Amtsantritt das Wort von dessen „Unberechenbarkeit“ gewälzt. Wohl in der Hoffnung auf die Binsenweisheit, dass im Allgemeinen heißer gekocht als gegessen werde.

Foto: Flickr Nutzer taedc/CC BY-SA 2.0

Noch während jedoch der schwerbewachte- und gepanzerte Präsidenten-Corso von den Stufen des Capitols zum Weißen Haus kroch, war der LGBT-Community als erster Minderheit in den Vereinigten Staaten internet-öffentlich und entsprechend unmissverständlich klar gemacht worden, dass die Ära, in der aus einer in Regenbogenfarben getauchten Präsidentenresidenz in der Pennsylvania Avenue ein aufrichtig begeistertes #LoveWins getwittert wurde, Geschichte ist.

Nun, einige wenige Tage später, in denen Trump mit einem Federstrich aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen ausgestiegen ist und Ölpipelines durch heilige Stätten der indigenen Bevölkerung der Sioux genehmigt hat, muss uns auch auf dieser Seite des Atlantiks klar werden, dass die neue Riege der rechtspopulistischen Polit-Amateure, die mit großspuriger Selbstüberschätzung und alternativen Fakten nach den USA auch in Europa und Deutschland an die Macht strebt, im Zweifel auch kochend Heißes isst.  

Vieles in diesem Jahr wird man nicht oder nur scheinbar in der Hand haben. Einiges weniges aber schon. Und wenn man es in der Hand hat, dann auch nur in einer. Denn mit der anderen werden wir wohl traurig zum EU-Abschied nach Großbritannien winken müssen, wo man es unlängst auch noch in der Hand hatte, aber zu leichtfertig losließ.

Daran mögen wir uns erinnern, wenn wir in diesem Jahr hierzulande mit vom Schnupfen getrübten Augen an einem Septembersonntag unser Kreuzchen machen.

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