ZWISCHEN DEN ZEILEN

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„Ab dem zweiten Mal ist es Tradition“, lautet ein augenzwinkerndes Sprichwort. In ihm steckt insofern ein Funken Wahrheit, als dass Wort „Tradition“ nichts über die tatsächliche kulturelle Verwurzelung aussagt. Das Fastnachtsbrauchtum, dem wir im kommenden Monat wieder Ehre antun, reicht in einigen lokalen Varianten beispielsweise bis in vorchristliche Zeit zurück. Das Silvesterfeuerwerk, dessen explosive Restbestände uns auch noch in diesem Monat unvermittelt zusammenfahren lassen und Mensch und Tier jedes Jahr in den Wahnsinn treibt, ist dagegen ein fernöstlicher Import aus jüngerer Zeit, der hierzulande außerdem reichlich missverstanden wird.

Während man nämlich ursprünglich böse Geister vertreiben wollte, ruft man sie hierzulande durch die unheilige Kombination von Alkohol und Sprengstoff erst auf den Plan.

Foto: flickr Nutzer Wei-Te Wong/CC BY SA 2.0

Vom bunten Leuchten im Nachthimmel und Glockengeläut ist im Pulverdampf und Getöse der Innenstädte längst kaum mehr etwas zu sehen und zu hören. Und auch im Frankfurter queeren Szeneviertel muss man um Mitternacht schon hartgesotten sein, um mit seinem Gläschen Sekt zum Anstoßen vor die Tür zu gehen.

Seit einiger Zeit gibt es nun auch bei uns das indische Holi-Fest der Farben. Dabei werfen viele Tausend Menschen gleichzeitig eine Handvoll Farbpulver in die Luft.

Das ist natürlich auch keine ganz saubere Angelegenheit.

Aber schön anzusehen und abwaschbar.

Zwar ist das Holi-Festival bei uns eine rein kommerzielle Veranstaltung und entbehrt weitgehend jedem Verständnis für die hinduistische Überlieferung. Dafür ist sie harmlos und kommt ganz ohne Knalltraumata, Wohnungsbrände und Polizeihundertschaften aus.

Vom Donner gerührt ins neue Jahr

Der Gedanke an die bedrohliche Atmosphäre von Betonsperren, Taschenkontrollen, maschinenpistolenbewehrter Polizei, rasender Böllerei und giftigen Rauchschwaden am Zugang zur Alten Gasse im schwulen Bermudadreieck hat mich über dieses Neujahr zum zweiten Mal in Folge verreisen lassen. Man könnte hier also durchaus schon von einer Tradition sprechen.

In diesem Winter hatte es mich in das ostafrikanische Tansania verschlagen, was im Rahmen der Reisevorbereitungen eine routinemäßige Befassung mit der Sicherheitslage vor Ort im Besonderen und LGBT*IQ-(un)freundlichen Reisezielen im Allgemeinen nahelegte.

Grafik: Wikipedia/ CC BY-SA 3.0

Tansania würde hierbei, wie ich wusste, schlecht abschneiden, weil homosexuelles Verhalten hier mit bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden kann, weshalb der Staat auf der Weltkarte zu Gesetzlage bezüglich Homosexualität rot eingefärbt ist.

Die Mehrheit der afrikanischen Länder sieht für Lesben, Bisexuelle und Schwule teilweise empfindliche Sanktionen bis hin zur Todesstrafe vor.

Und selbst in Nationen, in denen solche Regelungen nicht de jure ausgewiesen sind, kann nicht automatisch von gesellschaftlicher Akzeptanz ausgegangen werden.   

Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis am größten

Ohnehin müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Rechtslage vor Ort nur wenig über die tatsächliche Toleranz und Akzeptanz gegenüber LGBT*IQ aussagt. Und selbst dann können abhängig von Region und Milieu große Unterschiede bestehen. Transgender, die in den Studios der New Yorker Popkultur bisweilen geradezu hofiert werden und zu Volksvertreter*innen gewählt werden, können in einem Trailer-Park in Mississippi in Lebensgefahr geraten.

Ob die gleichgeschlechtliche Ehe in den Vereinigten Staaten möglich ist oder nicht, hat darauf erst mal keinen Einfluss.

In Thailand, das bekanntermaßen als eines der LGBT*IQ-freundlichsten Reiseziele gilt, gibt es wiederum keine Ehe für alle. Trans*Menschen sind dort aber im gesellschaftlichen Alltag genauso akzeptiert wie Lesben und Schwule.

Die Anpassung ihres Vornamens und ihres offiziellen Geschlechtseintrages bleibt ihnen anders als in den allermeisten europäischen Staaten jedoch lebenslang verwehrt. Und auch der Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst oder Banken ist für sie in aller Regel nicht möglich.

Staatliche Diskriminierung in Reinform und trotzdem für queere Urlauber ein Paradies.

Vor diesem Hintergrund und unabhängig von der nächsten Fernreise bedeutet das umgekehrt aber auch, dass geschlechtliche und sexuelle Minderheiten durchaus in ihrer Existenz bedroht sein können, obwohl aus ihren Herkunftsländern Meldungen über fortschrittliche Gesetzgebung und Toleranzerklärungen zu hören sind.

Papier ist nämlich geduldig. Repression, Diskriminierung und Gewalt sind dagegen unerträglich. 

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