ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Ist Vielfalt ein Wert an sich?

Über diese Frage dachte unlängst Bundespräsident a.D. Joachim Gauck als Gastprofessor vor Studierenden der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf nach.

Ob es so ist, darüber sind das ehemalige Staatsoberhaupt und ich möglicherweise unterschiedlicher Auffassung. Denn Gauck zeigte sich in seinem Vortrag erschreckt, wohin es geführt habe, „wenn Vielfalt derart akzeptiert und honoriert“ werde.

Unabhängig davon, welcher Meinung man in dieser Frage sein mag, ist Vielfalt in der lebendigen Natur eine Tatsache und darüber hinaus Grundvoraussetzung für das eherne Prinzip der Evolution. Daraus ist nach mehreren Anläufen immerhin auch der moderne Mensch hervorgegangen.

Aber auch mehr als 100.000 verschiedene Spinnenarten.

Ein Verhältnis über das wiederum ich mich erschreckt zeige, sind die Spinnen damit doch vor dem Hintergrund der Vielfalt des Lebens vergleichsweise überrepräsentiert.

In ihrer Welt mögen sie vielleicht als schön gelten, doch die meisten Menschen finden Spinnen mit ihren acht Beinen und zehn Augen ziemlich garstig.

Allerdings hat auch die Bundesrepublik seit ihrer Gründung einschließlich Joachim Gauck nur ältere, weiße Männer zum Staatsoberhaupt gehabt, womit diese Gruppe gemessen an der Vielfalt in der Gesellschaft ebenfalls deutlich überrepräsentiert ist.   

Der Rollback

Noch im letzten Sommer, nach der erdrutschartigen Bundestags-Entscheidung zur Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, wurde in den queeren Communities vielfach die Frage diskutiert „Ist jetzt alles gut?“

Schon besprach man, was denn nun die nächsten Ziele sein sollten.

Und mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht im Herbst, dass künftig ein zusätzlicher positiver Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht ermöglicht werden muss, spürten auch Trans*, Inter* und nicht-binäre Menschen die Chance, dass bald auch ihre über Jahrzehnte unberücksichtigten Anliegen bundespolitisches Gehör finden könnten.

Doch dass das Land von wirklicher Akzeptanz von homo- und bisexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Vielfalt noch ein großes Stück entfernt ist, machte das erneute Auftreten des Homophoben-Zusammenschlusses der sogenannten „Demo für Alle“ (DfA) deutlich, als er Ende des vergangenen Jahres zu einem Kongress in der Nähe von Frankfurt auflief, um erneut ein Welt- und Familienbild der 1950er Jahre zu propagieren.

Zwar überwog die Zahl der Menschen, die in Frankfurt zeitgleich für Vielfalt und Liebe demonstrierten, die wenigen Hundert Rückwärtsgewandten um ein Vielfaches, doch dass die DfA so regelmäßig in Erscheinung tritt, muss als eines von vielen Symptomen verstanden werden, die anzeigen, dass das selbstbestimmte Leben von LGBT*IQ nicht so selbstverständlich toleriert wird, wie man gerne glauben mag.

Konservative Rolle rückwärts

Fügt man dem Bildausschnitt der homophoben „Demo für alle“ nämlich noch andere Facetten hinzu, wird die Gesamtansicht zunehmend dunkler. Im Deutschen Bundestag sitzen seit der letzten Wahl 92 Abgeordnete der AfD, ebenso in vielen Parlamenten der Länder und Kommunen. Und sie machen keinen Hehl daraus, dass sie die über Jahrzehnte von Lesben, Schwulen und Trans* erkämpften Rechte nur allzu gerne wieder einschmelzen wollen.

Wer nun glaubt, es handele sich dabei um ein überschaubares Phänomen, das auf christliche Fundamentalisten und den rechtspopulistischen Rand der Politik begrenzt sei, der lenke sein Augenmerk auf die Entscheidung der Bundes-CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Generalsekretärin der Christdemokraten zu machen. Denn die 55-jährige Saarländerin gilt als erklärte Gegenerin der gleichgeschlechtlichen Ehe, die sie unter anderem mit der Begründung ablehnt, dass dies in einem nächsten Schritt zur Viel- und Verwandtenehe führen werde. Auch gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare sprach sich die künftige CDU-Generalsekretärin aus.

Dass ausgerechnet sie Peter Tauber, einen der Befürworter der Ehe für Alle, ablöst und sich zudem gegen den offen schwulen Jungpolitiker Jens Spahn durchsetzen konnte, ist eine neue Tonart in der konservativen Regierungspartei, die allen, denen das selbstbestimmte Leben und Lieben von LGBT*IQ wichtig ist, in den Ohren klingeln muss.

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