ZWISCHEN DEN ZEILEN IM MÄRZ 2020

Die monatliche Online-Kolumne "Zwischen den Zeilen" von Jessica Purkhardt. Diesmal mit einem neuen Brauchtum aus dem Silicon Valley und einem Tag am Strand für's Gehirn.

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Der Name des einen lässt sich zumindest für die hiesigen Zungen gut aussprechen, der des anderen ist dagegen vergleichsweise sperrig. Beiden gemein ist – neben ihrer Homosexualität – die mutmaßlich vergebliche Anwartschaft auf einen politischen Spitzenposten ihres Landes.

Sowohl der deutsche Jens Spahn als auch der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Pete Buttigieg mussten sich dabei mit mal mehr, mal weniger subtilen homophoben Ressentiments herumschlagen.

Hierzulande sorgte sich die Boulevardpresse, ob denn Spahns christdemokratische Partei „modern genug für einen schwulen Kanzler“ sei. Auf der anderen Seite des Atlantiks fürchteten Kommentatoren derweil um die seelische Zerrüttung von Kindern und Jugendlichen durch einen Präsidenten Buttigieg, der gelegentlich mal seinen Ehemann küsst.

Ob Homosexualität in Deutschland und den USA des Jahres 2020 noch immer ein Ausschlusskriterium für die Ausübung eines politischen Führungsamtes ist, wird sich zeigen. Außerdem gibt es natürlich noch zahlreiche andere Merkmale, die für eine Niederlage im politischen Wettstreit ausschlaggebend sein können.

Umgekehrt zeigt der Abgang der CDU-Parteivorsitzenden Kramp-Karrenbauer ein wenig, dass man auch mit wiederholten kritischen Äußerungen gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und plumpen Fastnachts-Witzchen über geschlechtliche Vielfalt langfristig keinen Blumentopf gewinnen konnte.

Nun sind Fastnacht, Fasching, Karneval und Fasnet rum. Bekanntermaßen nehmen sie zwar jährlich ab dem 11.11. bis zum Aschermittwoch einen großen Zeitraum für sich ein, sind aber ursprünglich lediglich Vorfeld-Feierlichkeiten, um die darauf folgende 40-tägige Fastenzeit vor Ostern erträglich zu machen.

Dabei handelt es sich um eine Praxis spiritueller und körperlicher Reinigung, die man dieser Tage näherungsweise mit „Detox“ beschreiben könnte. Die Tatsache, dass es ein neues Modewort für die jahrhundertealte Übung temporärer Enthaltsamkeit gibt, zeigt, dass das Grundbedürfnis vorübergehender Läuterung auch heute noch in uns angelegt ist.

Nur ist es gegenwärtig nicht mehr bloß der Verzicht auf die Erfüllung der Fleischeslust in ihren verschiedenen Formen. Weil wir uns nämlich oft im asexuellen Singleleben gut eingerichtet haben und sowieso schon längst Veganer sind.

Fasten wollen wir aber manchmal trotzdem.

Neues Brauchtum aus dem Silicon Valley

Der neuste Trend kommt wie alles Tolle aus den USA: Dopamin-Fasten. Dopamin ist in der menschlichen Biochemie der Gute-Laune-Botenstoff. Ähnlich einem Marktschreier legt unser Gehirn gerade dann, wenn wir gut gelaunt sind, noch eine Schippe Dopamin zur Belohnung obendrauf. Das tut es auch, wenn wir die sogenannten sozialen Medien nutzen, fernsehen, Musik hören oder angeregte Gespräche führen.

Foto: flickr Nutzer Tirthankar Gupta/CC BY 2.0

Also ziemlich oft, denn im Grunde schauen wir ja ständig fernsehen, lassen uns von Musik berieseln und telefonieren mit Flatrate … oft während wir parallel unsere Facebook-, Twitter- und Instagram-Timelines weiterwischen.

Weil da die Inhalte so verkürzt sind, dass sie in Sekunden erfasst werden können, wir uns also im Sekundentakt freuen oder aufregen können, geht dabei ein wohlig-warmer Dopamin-Schauer über uns nieder.

Noch besser wird’s, wenn wir uns selbst in Pose werfen, ein Bild davon „Freunden“ und „Followern“ zur Verfügung stellen und die ersten „Likes“ und „Favs“ dafür eintrudeln. Das ist dann gefühlt schon gleich ein ganzer Cocktail aus Dopamin und anderen Glückshormonen, und wir werden regelrecht trunken davon. Da geht leicht der Blick fürs Wesentliche verloren, obwohl wir natürlich wissen, dass Bilder aus Fitnessstudios, Tellern mit Essen drauf und die Hauskatze in lustiger Pose nicht dazugehören.

Die Dosis macht das Gift

Der neue Trend geht deshalb in die Gegenrichtung: Die Konzentration fördern und uns den Alltag bewusster erleben lassen durch Dopamin-Fasten.

Das heißt: weder Musik, Film noch Social Media, nichts lesen, kein Kontakt zu anderen Menschen. Stattdessen gibt es nur noch Sport in Maßen, Spazierengehen und Schreiben.

Der Behauptung nach stumpfen wir nämlich durch die Dauerüberflutung mit dem Wohlfühl-Botenstoff ab. Beim bewussten Verzicht darauf erholt sich das Gehirn und kommt zur Ruhe. Überraschend ist das alles nicht, denn auch der tägliche Genuss von Schweinshaxe und Alkohol führt irgendwann zum Überdruss.

Die meisten Menschen streben hier deshalb zumindest theoretisch ein gesundes Mittelmaß an. Die wenigsten verzichten in unseren Breiten ganz darauf.

Ähnlich wird es auch mit dem Dopamin-Fasten sein: Ein bisschen Pause von der Reizüberflutung ist sicherlich heilsam.

Sich aber freiwillig längerfristig von den eigenen Glückshormonen abzuschneiden, auf gute Gespräche mit Freund*innen und Musik zu verzichten, nur um der Verblödung durch Facebook und Co. zu entgehen, ist sicher die falsche Medizin für die Symptome.

Vielmehr gilt, was schon der Arzt und Alchemist Paracelsus im 16. Jahrhundert wusste: „Die Dosis macht das Gift“.

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