Kolumne: Ende der Ignoranz

by

Wenn, dann richtig. Gleich drei Polizeifahrzeuge nebst einem Dutzend Polizeibeamt*innen sah ich bei meinem jüngsten Szenestreifzug entlang der Alten Gasse im Frankfurter schwulen Bermudadreieck. Das sind drei mehr als noch vor einem Jahr, wobei eines schon seit geraumer Zeit täglich und rund um die Uhr vor dem ukrainischen Konsulat postiert ist und trotzdem die vermehrten Angriffe auf queere Szenegänger*innen in diesem Jahr nicht verhindern konnte. Nach den im Abstand von wenigen Wochen wiederholt öffentlich gewordenen, teilweise schweren Gewalttaten gegen Angehörige der Community war absehbar, dass Politik und Polizeiführung es nicht mehr bei den Worthülsen der Vorjahre belassen. Ein sichtbares Zeichen war dringend notwendig, dass man sich nicht nur regelmäßig freut, wie „bunt“ Frankfurt ist, sondern auch bereit ist, diese Buntheit zu schützen. Ein Symbol dieser Farbenpracht ist der Regenbogenkreisel im Viertel.

Foto: Jessica Purkhardt

Auf dem steht jetzt ebenso symbolisch und gut sichtbar gelegentlich ein Streifenwagen. Genau darum geht es. Die zusätzlichen Schutzkräfte sind nun in der Alten Gasse und nicht mehr dort, wo sie zu dieser Zeit bislang eingesetzt waren. Die Prioritäten wurden, zumindest vorübergehend, verschoben, und es ist für die Community wichtig zu sehen, dass ihre Belange jetzt ernst genommen werden.

Das andere Ufer der Nacht

Es wirkt in der Nacht nicht so, als müssten die Polizist*innen einen LGBTIQ*-feindlichen Übergriff nach dem anderen abwenden. Vielmehr sind die zwei Gruppen der Polizei an den beiden Enden der Alten Gasse immer wieder im Gespräch mit Szenegänger*innen. Doch es ist mit einem Blick abzusehen, wo man in der Polizeiführung die Spannungsfelder sieht, die zu Straftaten gegen Queers führen können. Den die beiden Straßenseiten sind auch die beiden Seiten des Ufers. Auf der östlichen Seite liegen die Traditionsläden der Regenbogen-Community, auf der westlichen war das früher auch mal so, doch das Szenesterben hat hier seine Ernte gehalten. Seit Neustem hat in den Räumen einer ehemals schwulen Disco nun ein Klub eröffnet, der sich, so viel wage ich zu sagen, nicht dezidiert an ein schwul-lesbisch-transidentes Publikum richtet. Davor warten die Gäste entlang des Gehweges auf Einlass und bilden unwillkürlich ein Publikum für den einen oder anderen Hahnentanz und Männlichkeitsgehabe. Das ist in Ordnung und in allen möglichen und unmöglichen Auswüchsen durch die Menschheitsgeschichte bekannt. Neu hingegen ist, dass nur zwei Fahrspuren entfernt Menschen auf und ab flanieren, die mit Machismo und heterosexuellen Brunft-Ritualen nicht viel anfangen können und dies bisweilen mit großer Perücke und Lagen von Make-up konterkarieren. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich eine Situation vorzustellen, in der ein junger Mann vor den in der Schlange wartenden weiblichen Gästen wegen eines weißen T-Shirts ohne Luxus-Label von den Türstehern des Hetero-Klubs abgewiesen wird und aller Hoffnung auf einen erfüllten Samstagabend beraubt und in seiner Würde nachvollziehbar gekränkt auf eine angesäuselte Dragqueen trifft und hier gleichzeitig seinem Frust gewaltvoll Luft macht sowie die eigene Manneswürde in seiner Weltsicht wiederherstellt.

Trennschicht zwischen gesellschaftlichen Reibungsflächen

Ähnlich geschah es in den zurückliegenden Jahren mehrfach, und das Setting für weitere derartige Vorfälle ist auf der Alten Gasse nach wie vor günstig. Um sie zu verhindern, ist die gegenwärtige Polizeipräsenz am Wochenende das geeignete Instrument.

Foto: Jessica Purkhardt

Mir und wohl den meisten anderen in der Frankfurter Szene ist bewusst, dass gut ausgebildete, hinsichtlich LGBTIQ*-Sensibilität geschulte Polizeibeamt*innen nicht auf den Bäumen wachsen und dort, wo sie abgezogen wurden, möglicherweise ebenso fehlen, wie sie der queeren Community derzeit helfen. Doch sie sind nun einmal die Trennschicht an den Reibungsflächen der Gesellschaft, die ein Zermahlen der einen Personengruppe durch die andere mit hoheitlichem Auftrag verhindert. Tausende Polizist*innen werden dafür jedes Wochenende zur Verhütung von Mord und Totschlag beim Bundesligafußball kreuz und quer durchs Land verlegt.

Vor diesem Hintergrund muss sich Frankfurts LGBTIQ*-Szene wegen der zu ihrem Schutz zusätzlich abgestellten beiden Streifenwagen nicht vor demütiger Dankbarkeit in den Staub werfen.

Back to topbutton