Zwischen den Zeilen

by

Neulich erklärte der schwule Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann jemanden vor der Geräuschkulisse einer Kneipe, er sei in seiner Fraktion für die Queerpolitik zuständig.

-„Was machst du? Bierpolitik?“ war die Gegenfrage.

Eine spaßige Anekdote, die dennoch die Frage aufwirft, weshalb es manchem offenbar wahrscheinlicher erscheint, dass ein Abgeordneter sich für Qualität, Preis und Zukunft von Brauerzeugnissen einsetzt als für die Rechte von LGBT*IQ.

Denn immerhin wurden alleine im Januar dieses Jahres 5,3 Millionen Hektoliter Bier abgesetzt. Das sind 12,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Lobby der Biertrinker*innen scheint also ausreichend groß und mehrheitsfähig, so dass es einer fachpolitischen Unterstützung nicht unbedingt bedarf.

Den queerpolitisch bewegten Menschen unter uns entgeht jedoch vielleicht gelegentlich, dass  auch für Lesben, Schwule und Trans* das Eintreten für ein selbstbestimmtes Leben mit gleichen Rechten zwar wichtig ist, aber die Alltagsthemen deshalb trotzdem nicht in den Hintergrund treten.

Beispielshaft dafür war eine queerpolitische Diskussionsveranstaltung in Frankfurt im Vorfeld der letzten Bundestagswahl. Der Zeitrahmen für die Podiumsdiskussion mit Publikumsgespräch war mit 90 Minuten angesetzt und die ganze erste Stunde wurde sie von einem Thema dominiert, das den Menschen ganz offensichtlich unter den Nägeln brannte:

Dieselfahrverbote.  

Queere Tiere

Neulich begegnete mir im Aufzug zu meinem Sport-Studio ein Plakat, das die Fitness-Reihe „Animal Moves“ anpries und in mir den Gedanken an ein unlängst im Frankfurter Zoo beim Kopulieren beobachtetes Bonobo-Pärchen wieder aufrief.

Ohne diesen Vorfall wäre meine Euphorie nicht so überschwänglich ausgefallen als mir wenige Tage darauf ein  korpulentes, englischsprachiges Buch in die Hände fiel, dessen frei übersetzter Titel lautete „Biologischer Überschwang: Tierische Homosexualität und natürliche Vielfalt.“

Foto: flickr Nutzer/R.B. Boyer/CC BY-SA 2.0

Seit mehr als zwei Jahrhunderten hat die Zoologie bislang weltweit über 450 Säugetiere, Vögel, Reptilien, Insekten und weitere Tierarten kennen gelernt, die eine beinahe grenzenlose Bandbreite von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsausdrücken aufweisen.

In dieser vielsexuellen und vielgeschlechtlichen Welt sind unter tierischen Angehörigen des gleichen Geschlechts sowohl Balzverhalten als auch Paarbindung, Sex und gemeinsame Aufzucht von Jungtieren mannigfaltig dokumentiert.

Bemerkenswerterweise gibt es aber auch lebenslanges gleichgeschlechtliches Zusammenleben bei Tierarten, unter deren heterosexuellen Vertretern dieses Verhalten nicht vorkommt. Darüber hinaus außerdem sehr unterschiedliche Formen von "Alternativer Heterosexualität".

Spätestens vor dem Hintergrund dieser umfangreichen Darstellung selbstverständlichen tierischen homo- und bisexuellen Liebeslebens muss einem die Aussage, dass LGBT*IQ-Lebensweisen „unnatürlich“ seien, vorkommen wie die Behauptung, die Erde sei eine Scheibe.

Wobei letzterer Irrglaube immerhin durch den begrenzten menschlichen Horizont nachvollziehbar sein kann. Wohingegen der Anblick zweier ansonsten wohlerzogener Hunde-Rüden, die sich aus lauter Jux und Dollerei gegenseitig bespringen, täglich auf den einschlägigen Gassi-Pisten gemacht werden kann.

Genau genommen muss das vielfältige Liebesleben der Tiere uns als Menschen vor Neid geradezu erblassen lassen. Denn mein neues Lieblings-Sachbuch zeigt mir detaillierte Schautafeln von Sexualpraktiken, die außerhalb zoologischer Fachkreise schlichtweg als „abgefahren“ bezeichnet werden müssen und die unserer Gattung mangels der dazu nötigen Körperteile und -öffnungen auf ewig verborgen bleiben wird.

Back to topbutton