Kolumne: Welcome to the Jungle

Auf meiner letzten Reise wanderte ich unlängst durch einen tropischen Regenwald. Dabei stellte sich eine Empfindung ein, von der ich schon vielfach gelesen hatte, die ich nun aber selbst erfuhr: Der Dschungel ist mehr als Bäume, Tiere, Rankenwerk und Unterholz. Unwillkürlich gewinnt man in seinem Inneren das Gefühl, sich durch einen einzigen großen Organismus zu bewegen. Eine Symbiose, in der das einzelne Leben gleichzeitig auch Teil eines anderen ist. In der jedes Tier und jede Pflanze eine Nische für sich gefunden hat, den eigenen Lebensraum beansprucht und verteidigt und einen Platz hat, an dem es zu finden ist. Im Urwald gibt es die eigentümlichsten Kreaturen, die durch den Kampf ums Überleben so wurden, wie sie sind.

Sasin Tipchai/Pixabay

Queere Artenvielfalt

Unweigerlich musste ich auf meiner Wanderung durch diese Wildnis an unsere Szene denken. In meiner Wahrnehmung ist sie mehr als eine verdichtete Ansammlung von Bars, Kulturevents und Partys mit LGBTIQ*-Publikum. Wohl könnten sie für sich allein bestehen, doch das queere Biotop mit Räumen für alle entsteht erst durch ihre Verflechtung. Denn Community ist mehr als eine große Zahl von Individuen gleicher Prägung oder Interessen. Sie bedeutet, Gemeinschaft zu sein, statt bloß Gemeinsamkeiten zu haben. Ihre Orte sind die Safe Spaces, die Rückzug von einer Welt ermöglichen, in der queere Identitäten, Lebensentwürfe und Liebensarten nicht kompromisslos dazugehören. In der Szene hat jede*r einen Platz, die Sitzordnungen an den Tresen der Bars sind wortwörtliches Beispiel dafür, und auch das Fauchen, wenn gegen sie verstoßen und das Revier verletzt wird. Für manche ist es eben nicht nur eine Sitzgelegenheit, sondern ein Lebensraum.

Stefan Vögeli/Pixabay

Dass in unserer Szene so einige bunte Vögel zu finden sind, ist eine Abgedroschenheit, die es schwer macht, sie zu bemühen. Allerdings begegnet man oft genug der ein oder anderen Schlange und darüber hinaus zahllosen Geschöpfen, die ein wildes Leben geformt, geprägt und gezeichnet hat.

Bedrohte Biosphären

Während die Urwälder der Erde und ihre Biodiversität von Brandrodung für Palmöl- und Sojaplantagen bedroht werden, schlagen Investoren Schneisen in den urbanen Dschungel unserer Großstädte, um ihre renditeorientierten Neubau- und Sanierungsprojekte zu realisieren. Schon mehrfach wurde in Frankfurt die Axt an Traditionslokale lesbisch-schwuler Subkultur gelegt. Um einige mussten wir wiederholt bangen. Dabei drohen die Stadtgesellschaften ein Vielfaltsmerkmal zu verlieren, mit dem sie sich gerne schmücken. Doch: „Wat fott es, es fott“, sagt der Kölner. Ein gewachsener Organismus, dem Schaden zugefügt wurde, lässt sich nicht wieder aufforsten.

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