Kolumne: Freiheit ohne Worte

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Es hört sich an wie 1911, doch erst im Jahr 2011 entfiel in Deutschland der Sterilisationszwang für transidente Menschen, die ihren Vornamen und Personenstand an ihre Geschlechtsidentität anpassen lassen wollten. Das Bundesverfassungsgericht setzte damals dieser menschenrechtswidrigen Praxis ein Ende. Die in den 2000er-Jahren amtierenden Regierungen (rot-grün, schwarz-rot, schwarz-gelb) hatten bis dahin diesbezüglich keinen Handlungsbedarf erkannt.

Startschuss für die Aufholjagd

Für Transgender war das Ende des Operationszwangs ein Befreiungsschlag, der wie die Entkriminalisierung von Homosexualität 1969 gewichtet werden kann. Erst sie öffnete den Weg für eine aktive, sichtbare Schwulenbewegung, wie es 42 Jahre später mit der Verfassungsgerichtsentscheidung auch für die Transgender-Bewegung möglich geworden ist. Seitdem holt sie die Debatten um Emanzipation und Deutungshoheit im Schnelldurchgang nach, wie sie Lesben und Schwule schon jahrzehntelang geführt hatten.

Foto: Lena Balk, unsplash.com, gemeinfrei

Der von Sexualwissenschaftlern vor hundert Jahren erfundene Kunstbegriff der Transsexualität ist ersetzt worden durch transident oder transgender. Doch alle drei Begriffe haben jeweils ihren Einfluss auf die Biografien der Menschen gehabt, die ihn als Selbstbezeichnung für sich angenommen haben oder denen sie aufgezwungen wurden. Gleichzeitig hat sich in der Sexualwissenschaft seit Anfang dieses Jahrhunderts die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Geschlechtsidentität keine Entweder-oder-Entscheidung ist, sondern ein Spektrum, in dem jeder Mensch so einzigartig ist wie sein Fingerabdruck. Um dieser Vielfalt von Geschlechtsidentitäten und ihren Lebensgeschichten gerecht zu werden, erfand man den Kunstbegriff Trans*.

Terminus technicus Trans*

Ich kann mir nicht vorstellen, mich jemals an ihn zu gewöhnen, denn er ersetzt die altbackene Medizinersprache mit einem Begriff wie ein Programmierbefehl für Computer. Nun sprechen wir also von Trans*Menschen, als ob es eine andere Gattung Mensch sei, die neben den richtigen Menschen existierte.

Foto: Markus Spiske, unsplash.com, gemeinfrei

Es sagt viel über unser Verständnis von Natur und ihren Reichtum aus, ihre immer da gewesene geschlechtliche Vielfalt des Menschen in fünf Buchstaben und ein Sonderzeichen zu pressen. Am meisten besorgt mich dabei, dass Trans* immer öfter zum Schlachtruf wird, mit dem man sowohl dafür als auch dagegen sein kann. Heute benutzen viele Homosexuelle für sich die unterschiedlich nuancierten Selbstbezeichnungen schwul, gay, queer, ohne dass es den Lebensentwurf eines anderen infrage stellte oder darüber die Community zerbräche. Ich hoffe, dass die Trans*Community eine Abkürzung hin zu dieser Selbstverständlichkeit findet.

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