Kolumne: Überdosis Regenbogen

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„Die Dosis macht das Gift“ lautet das verkürzte Zitat des Theophrastus Bombast von Hohenheim, der als Arzt, Alchemist und Astrologe besser bekannt wurde als Paracelsus. Hinter dem Ausspruch steht der Gedanke, dass alles schädlich sein kann, wenn es im falschen Maße angewendet wird. Gerade haben wir den Pride Month hinter uns und ein weiterer Monat mit CSDs und Pride-Veranstaltungen liegt vor uns. Noch vor wenigen Jahren demonstrierten und feierten Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in den meisten deutschen Städten lediglich ein Wochenende lang. Das sind nun sehr viel Sichtbarkeit und noch mehr Regenbogenfähnchen, deren Omnipräsenz bei einigen Menschen nicht nur Zustimmung hervorgerufen hat – Lesben, Schwule und Transgender eingeschlossen.

Foto: Jessica Purkhardt

Objektiv betrachtet ist die Regenbogenflagge durch das Pinkwashing der letzten Jahre bedauerlicherweise zum Beliebigkeitssymbol auf „Hello Kitty“-Niveau geworden, mit dem man alles schmücken kann: nett, bedeutungslos und im schlimmsten Fall ein bisschen peinlich. Niemand sollte heute noch darauf vertrauen, dass dort, wo ein Regenbogen-Sticker draufklebt, auch Akzeptanz dahintersteht.

Pride Month als CSD-Advent?

Unterdessen werden der Pride Month und seine Symbole von queeren Aktivist*innen und ihren Gegner*innen als Instrument im immer giftigeren Kulturkampf benutzt. Die Mehrheit der homo- und heterosexuellen Menschen im Land möchte daran aber nicht teilnehmen. Die Sorge ist groß, dass die über Jahrzehnte erarbeitete Akzeptanz und weitgehende Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen und Transgendern Kollateralschäden erleidet. Ist es nicht auch Hybris, dass ein Teil der Gesellschaft eine eigene Saison in Ergänzung zur Weihnachts- und Karnevals-Zeit ins Leben ruft? Ohne Frage gibt es noch viele andere Minderheiten und benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die nur einen Bruchteil der Sichtbarkeit bekommen, aber viel mehr verdienen.

Fangnetz gegen das Rollback

Schon die CSDs müssen immer wieder eine Balance von Party und Politik finden. Beim Pride Month scheint es, als müssten Maß und Mitte zwischen Deko und Inhalt noch gefunden werden. Mit einem Fähnchen am Auto reformiert man weder das Abstammungsrecht, bewahrt niemanden vor homofeindlicher Gewalt, noch verankert man den Schutz sexueller Identität im Grundgesetz.

Foto: Jessica Purkhardt

Dabei hat dieser Monat das Potenzial, viele der sonst nur im Elfenbeinturm geführten Debatten vier Wochen lang in den Alltag zu tragen und gesellschaftskompatibel zu gestalten. Neben der vierwöchigen Selbstvergewisserung für Lesben, Schwule und Transgender kann der Pride Month außerdem dazu beitragen, den soziokulturellen Beitrag von LGBTIQ* darzustellen und im Bewusstsein der Gesamtgesellschaft zu verankern. Viele Veranstaltungsideen haben im vergangenen Monat gezeigt, dass das möglich ist. Langfristig kann er so zu einem Fangnetz werden gegen das sich abzeichnende Rollback bei der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebe und geschlechtlicher Vielfalt.

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