ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Kann man etwas reparieren, das gar nicht kaputt ist? Das Mofa meiner Jugend würde sagen: nein.

Es lief wie eine Nähmaschine, fuhr aber zu meinem damaligen Bedauern auch nur unwesentlich schneller. Deshalb fummelte ich so lange daran herum, bis es noch langsamer fuhr, dann nicht mehr ansprang und schlussendlich doch kaputt war.

Das war mir eine Lehre, die ich seitdem auf viele andere Alltagsbereiche anwende. Entsprechend habe ich nie verstanden, weshalb Menschen, die nicht krank sind, behandelt werden müssen und die Solidargemeinschaft der Krankenkassen auch noch dafür aufkommt.

In diesem Jahr ist es 25 Jahre her, dass in Deutschland der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches abgeschafft wurde. Schon vier Jahre zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen.

Trotzdem war es hierzulande weitere 29 Jahre lang erlaubt, gesunde aber gleichgeschlechtlich begehrende Menschen mit sogenannten Konversionstherapien in die Hetero- oder Asexualität pressen zu wollen.  

Foto: flickr Nutzer Lachlan Donald/CC BY 2.0

Es ist höchste Zeit, dass jetzt ernsthaft ein Verbot dieser Quälerei angestrebt wird, in einem Land, in dem die Sicherheitsbestimmungen ansonsten gerne mal in die Bevormundung hineinreichen.

Warum das so lange gedauert hat? Nach meiner Diagnose waren früher wohl bei einigen Verantwortlichen entweder der Vergaser verstopft oder die Kolbenringe verschlissen.

Kein Foto für Heidi

Bestens gewartet, mit neuen Belägen und Luftdruck, gut abgeschmiert und mit knallhart festgezogenen Schrauben präsentiert sich dagegen die deutsche Drag-Community.

Was so gut in Schuss ist, hat einen entsprechend hohen Wert auch außerhalb des queeren Kernpublikums. Längst haben das auch die Mainstream-Medien erkannt und die subkulturelle Kunstform zu massentauglichen Formaten aufbereitet. TV-Sendungen wie RuPaul’s Drag Race sind nicht nur Kult, sondern haben vielen Künstler*innen ein Karrieresprungbrett geboten und sie auch in ihrer persönlichen Entwicklung gefördert.

Dass die Fernsehreihe bei allem Erfolg ordentlich bitchy und trotzdem in aller Regel wertschätzend geblieben ist, liegt auch in der Moderation von RuPaul selbst begründet. Das ist wichtig, damit die mit viel Herzblut, Selbstironie und Pride erarbeitete Kunstform Drag nicht verramscht und beschädigt wird.

Vor diesem Hintergrund sind nun die Sorgenfalten auf den Stirnen der Menschen, denen die deutsche Drag-Kultur etwas bedeutet, ziemlich tief, seit bekannt geworden ist, dass ein Unterföhringer Privatsender für das von ihm erarbeitete Drag-Format ausgerechnet Heide Klum für die Jury vorgesehen hat.

Foto: www.instagram.com/heidiklum

Das Katalogmodell a.D. bringt beruflich seit mehr als zehn Jahren junge Frauen zum Weinen und bildet sie unter Zerrüttung ihres Selbstwertgefühls zu Schaufensterpuppen aus.

Sicher, Germany’s Next Topmodel ist auch beim LGBT*IQ-Publikum beliebt. Das ändert jedoch nichts daran, dass Klum in ihrer Sendung oft nicht nur Wertschätzung, Empathie und Empowerment abgehen. Sie ist auch noch nie durch ein tieferes Verständnis der Wurzeln, Geschichte und Ausdrucksformen von Drag und Travestie und der zugrundeliegende Haltung aufgefallen.

Außer, dass sie eines der zugkräftigsten Pferdchen im ProSieben-Rennstall ist, qualifiziert sie anders als die aus meiner Sicht nicht zu beanstandenden Juroren Bill Kaulitz und Conchita also nichts für die Mitgliedschaft in der Jury von Queen of Drags.

Der Entscheidung des Privatsenders, der Drag-Kunst des deutschsprachigen Raumes mit einer eigenen Sendung eine größere Bühne zu bieten, ist grundsätzlich Beifall zu spenden.

Dabei darf aber gerne von den bisherigen Formaten abgewichen werden und auch für die Drags selbst sind andere Rollen denkbar.

Ich stelle mir beispielsweise ein Format vor, in dem drei Vertreter*innen aus Travestie und Drag die Jury stellen und über die künstlerische und kulturelle Leistung von TV-Berufsjuroren wie Heidi Klum und Konsorten urteilen.

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