ZWISCHEN DEN ZEILEN

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 After-CSD-Lethargie

Geschafft!

Mit dem CSD Mittelhessen ist im gab-Land das (wenn gewünscht gerne auch ‚der‘) letzte Pride-Event der Saison über die Bühne gegangen. Und was man so hören und lesen konnte, vergingen die CSDs in der Republik hier und da zwar mit den üblichen Finanzierungssorgen und gewissen inhaltlichen Divergenzen aber doch ohne große Zwischenfälle.

Das war wichtig. Denn ohnehin war Alarmismus in den zurückliegenden Wochen eine weitverbreitete Gefühlslage. Von Sommerloch konnte bedauerlicherweise gar keine Rede sein.

Foto: Flickr Nutzer Lenore Edman/CC BY 2.0

Wie glühend bereit war ich gewesen, mich zur Hauptsendezeit über eine volkswirtschaftliche Raffinesse wie der jährlich wiederkehrenden Forderung eines Bundestagshinterbänklers nach der Einführung der Pizza-Steuer informieren zu lassen. Und wie überaus hörenswert hätte ich es gefunden, wenn in einem mecklenburg-vorpommerischen Badesee ein Brillenkaiman gesehen worden wäre.

Beides passierte nicht, weil es, selbst wenn es tatsächlich oder aber auch nur vielleicht stattgefunden hätte, angesichts der real existierenden Nachrichtenlage gar keine Rolle gespielt hätte.   

Deswegen ist es wichtig, dass wir auf friedliche Christopher-Street-Days zurückblicken können.

Die in diesem Zusammenhang meiner Wahrnehmung nach am deutlichsten vernehmbare Meinungsverschiedenheit entspann sich in Frankfurt um die erste Variante des CSD-Mottos, das in diesem Jahr das so deutlich gewordene rechtpopulistische Unheilsgemenge aus Stumpfsinn und völkischer Gereiztheit aufgreifen wollte.

Das Bewusstsein, dass sich um den Frankfurter CSD-Slogan eine Kontroverse ergeben würde, reifte sehr zügig innerhalb weniger Sekunden in mir heran, nachdem er mir an der Tresenecke des HALO unter dem Siegel der Verschwiegenheit zugeraunt worden war.

Foto: Flickr Nutzer JoshBerglund19/CC BY 2.0

Dabei ist Kontroverse an sich ja nicht schlechtes, wenn sich die Teilnehmenden in ihrem Verlauf nicht gegenseitig die guten Absichten absprechen. Wie ich vernahm, war das nicht in allen Phasen der Facebook-Debatten der Fall und ich hätte gerne die Maxime „Mäßig in der Art, hart in der Sache!“ des mir bis auf diesen Leitsatz völlig unbekannten Jesuiten Claudio Aquaviva dazwischen gerufen. Und das auch nur, wenn ich mich jemand gefragt hätte, was glücklicherweise nicht der Fall war.

Die CSD-Jahreszeit ist nun also vorüber und sicherlich hat der politische Anteil an der Ausgestaltung, wie bereits in den vergangenen Jahren zunehmend zu beobachten war, wieder mehr Gewicht bekommen.

Inwieweit das bei der Frankfurter CSD-Demo der Fall war, kann ich nur anhand der Bilderstrecken der Medien erahnen, denn nirgends bekommt man weniger von der Demoparade mit, als wenn man Teil von ihr ist und nur die Gruppe jeweils vor und hinter sich sehen kann.

Übrigens auch eine jährlich wiederkehrende Phase: So groß die politische Inbrunst und Lebendigkeit ist, mit der wir wochenlang an unterschiedlichen Orten den CSD feiern, so ohrenbetäubend laut ist die Ruhe, die schlagartig einkehrt, wenn die Saison rum ist.

Foto: Flickr Nutzer Joshua McKenty/CC BY-SA 2.0

Ohne Frage, sind besonders die, die sich das ganze Jahr über in den LGBT*-Communities engagieren in den Pride-Wochen besonders eingebunden, so dass eine Erholungspause nur  recht und billig ist.

Aber wie schnell ist kurz nach der Pause schon wieder der Welt-AIDS-Tag und ein paar neblig schneevermatschte Wochen später auch schon der Internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie. Mehr Tage an denen wir LGBT* auf unsere Anliegen aufmerksam machen können sind hierzulande, anders als etwa im anglo-amerikanischen Raum, nicht etabliert.

Nun bin ich ja selber Akteuse in unserer Subkultur, weswegen der Hinweis auf die verflogenen Gelegenheiten durch zu ausgedehnte After-Pride-Lethargie nicht mahnender Fingerzeig auf andere ist, sondern mehr Rückschau auf das eigene vergangene Jahr.

Damit mir gleiches in diesem Jahr nicht erneut unterlaufen sollte, hatte ich für zwei Wochen nach dem Frankfurter CSD eine Diskussionsveranstaltung im Frankfurter Switchboard anberaumt mit dem von mir ersonnenen und beinahe schon kabbalistisch anmutenden Titel „LSBTTIQ* - Die Entschlüsselung des queeren Alphabets“.

Ich will hier weder zu viel noch zu wenig sagen, aber wenn einer der damals Anwesenden behaupten würde, mir wäre diese Diskussionveranstaltung in ihrem etwa eineinhalbstündigen Verlauf „entglitten“, so würde ich nicht widersprechen und stattdessen vielmehr für mich selbst mit niedergeschlagen Augen leise Nicken.

Neben der Tatsache, dass die Veranstaltung thematisch möglicherweise überfrachtet war, ist sicherlich als Ursache für das Entgleiten eine offenbar vor beinahe zwei Jahrzehnten nicht sorgsam zu Ende geführte Diskussionen zwischen Schwulbewegten und feministischen Lesben zu nennen, die plötzlich in Form von gegenseitigen Schuldzuweisungen wieder im Raum stand, so dass die für einen würdigen Verlauf der Veranstaltung notwendige Grundharmonie schnell verloren ging und erst durch mich am Grunde eines zuvor gut gefüllten Longdrinkglases wiedergefunden werden konnte.

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