ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Gesellschaft sei für gewöhnlich zu billig zu haben, schrieb Henry David Thoreau schon 1854.

Man treffe sich nach zu kurzen Zwischenräumen, als dass wir Zeit genug hätten, neuen Wert füreinander zu erlangen „und lassen den anderen immer wieder von dem schimmeligen alten Käse kosten, der wir sind.“

Aus diesem unappetitlichen Vergleich leitet der amerikanische Schriftsteller und Philosoph ab, dass um diese häufigen Zusammenkünfte erträglich zu machen, gewisse Regeln zu beherzigen seien – nämlich Höflichkeit und Etikette.

Foto: Flickr Nutzer Tim Simpson/CC BY 2.0

Man wohne ohnehin schon zusammengepfercht, sei einander im Weg, stolpere übereinander und verliere „einigermaßen den Respekt voreinander.“

Nun ist der Mikrokosmos unserer queeren Szene ein gutes Beispiel dafür. Man kennt sich und begegnet sich beim Durchstreifen der engräumig angeordneten Szenelokale, ob man will oder nicht.

Es ist sicherlich dieses vielmalige Aufeinandertreffen, das bei einigen Zeitgenoss*innen dazu führt, in dem an sich wertvollen Gut von Zusammensein und Geselligkeit irrigerweise eine überflüssige Begegnung zu sehen.

Das wird oft sogleich, künstlich oder ernst gemeint, aber dann immer lautstark und theatralisch, beklagt um vielleicht einen Lacher der Umzustehenden zu erheischen.

Noch besser als wortgewandte Sticheleien auf Kosten des Gegenübers kommen aber immer der Ausdruck von Höflichkeit, Wertschätzung und Respekt bei allen anderen an.

Probiert’s mal.

Ar-Ih-Es-Pi-Ih-Si-Ti

Ihre Unterstützung für die LGBT*IQ-Community hatte sie nie so offen gezeigt, wie es etwa Cher, Madonna oder Lady Gaga taten und tun.

Doch sie sang auf lesbischen und schwulen Hochzeiten und ihre Soul-Hymnen fehlen selten auf den einschlägigen queeren Party-Playlists.

Zum einen wegen der Energie von Aretha Franklins Stimme, zum anderen wegen der Stärke der Texte.

Ihre Fassung des Titels „RESPECT“ von 1967 wurde zum musikalischen Treibstoff der feministischen Bewegung und der amerikanischen Bürgerrechtler*innen und zweifelsohne Teil des Soundtracks von Stonewall und der folgenden LGBT*-Emanzipation.

Im August ist Aretha Franklin gestorben.

Ihre Musik bleibt.

„ Ohne Achtung gibt es keine wahre Liebe“, wusste auch schon Immanuel Kant zu schreiben.

Als Philosoph und Preuße ist von ihm wenig Romantisches und Gefühlvolles überliefert.

Dieser Satz aber ist wahr und bedeutet aus dem 18. Jahrhundert auf unsere Gegenwart übertragen nicht die oftmals zermarternde Entscheidung zwischen „Like“ und „Love“ als Reaktion auf einen Facebook-Post.

Sondern vielmehr ein ernstgemeintes, freundliches Wort an jemanden, der es nicht von mir erwarten würde.

Umgekehrt bedeutet es auch Worte aus Achtung weglassen zu können, wo sie verletzen können. Tratsch und ein beschwingter Informationsfluss sind Geist und Modeschmuck des Szenegesprächs. Indiskretion – gerade in der queeren Szene – ist es nicht.

Wer den Vertrauensbruch braucht, um sich in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, achtet weder den anderen noch sich selbst.

Und bekommt nicht nur nach Kants Auffassung auch keine Liebe.

Birminghamer Krawall

Achtung, Liebe und jede Menge Herzenswärme in Person ist von diesem Monat Nachtschicht-Gastgeberin in der Krawallschachtel in der Alten Gasse im Herzen des queeren Frankfurt Bermudadreiecks.

Dort tritt Bärbel (ehemals Birmingham Pub) künftig allabendlich in der Nachtschicht den lebendigen Beweis an, dass Respekt vor dem Gegenüber und ein freundliches Wort gerne von Philosophen wie Thoreau und Kant und der Autorin dieser Zeilen in der Theorie herbei geschrieben werden können.

Sie sorgt für die Praxis und gibt sicherlich Nachhilfe.

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