Kolumne: Türsteher der Community

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Man stelle sich eine Veranstaltung vor, die daran erinnert, wie sich Lesben, Schwule und Transgender vor einem halben Jahrhundert in einem New Yorker Stadtteil die ständigen Demütigungen, Misshandlungen und Missbrauch durch homo- und transhassende Polizisten nicht mehr gefallen ließen und Widerstand leisteten. Heute, nach jahrzehntelangen Kämpfen, hat sich die deutsche Gesellschaft und auch die Polizei so weit gewandelt, dass sich polizeiliche Ansprechpartner für die Belange von LGBTIQ* auf diesen Veranstaltungen zur Verfügung stellen und ein Mitarbeiternetzwerk lesbischer und schwuler Polizeibediensteter über seine Arbeit informiert. Man könnte denken: Ende gut, alles gut. Aber jetzt kommt’s: Die Gesellschaft hat sich in jüngster Zeit noch weiter gewandelt. So weit, dass nun auf diesen Events vielerorts kleine Gruppen gegen die Anwesenheit von Menschen, die bei der Polizei arbeiten, protestieren. „No Cops at Pride“ verlangen sie, was viele um sie herum verdutzt. Hatte man nicht eben erst in der Rhein-Main-Community mehr Schutz durch die Polizei vor homo- und trans*feindlichen Übergriffen gefordert? Wie passt das bitte zusammen? Gar nicht. Es ist vielmehr ein Zeichen, dass nicht nur LGBTIQ* in der Gesellschaft angekommen sind, sondern nun auch die Gesellschaft bei den LGBTIQ* ankommt. Mit all ihren Zerwürfnissen, zu denen sie nun auch die Positionierungen einfordert, um die sie sich lange herumgedrückt haben.

Queer ist nicht gleich Queer

Will man verstehen, wo die Idee eines expliziten Ausschlusses von jeglicher Polizei herkommt und welche Menschen sie vertreten, muss man über den Queer-Begriff ehrlicher nachdenken, als es bislang weithin geschieht. „Queer“ bedeutet für die Mehrheit sicherlich irgendwas mit Glitzer, Einhorn, Regenbogen und LGBTIQ* im allerweitesten Sinne. Ein Sammelbegriff, der uns den Rückgriff auf die ausufernde Buchstabensuppe erspart. Für andere ist „queer“ aber in erster Linie ein politischer Begriff und eine Haltung, die das gleichgeschlechtliche Begehren oder eine andere Verortung des Identitätsgeschlechts nur als Ausgangsperspektive heranzieht, aber die Zusammenhänge von Cis- und Heteronormativität, politischen und sozialen Verhältnissen, Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt ganz anders herstellt.

Foto: flickr Nutzer anokarina/CC BY-SA 2.0

Manche kommen dabei zu dem Ergebnis, dass Polizei als Organisation grundsätzlich immer der Emanzipation und gerechten Teilhabe von LGBTIQ* als Ordnungshüter der herrschenden Verhältnisse entgegensteht, weswegen sie dann nicht an Veranstaltungen teilnehmen dürfe, die den Belangen von LGBTIQ* gewidmet sind. Seit ich das erste Mal ein „No Cops at Pride“-Schild in Deutschland gesehen habe, habe ich mich erst viel darüber geärgert, dann viel dazu gelesen, einiges verstanden und so lange darüber reflektiert, dass ich nun mit gutem Gewissen bei meiner bisherigen Meinung bleiben kann, dass ich mich über jeden Polizeibediensteten auf einer CSD-Veranstaltung freue, die oder der dort in der Dienstzeit für einen sicheren und friedlichen Verlauf sorgt oder außerhalb davon und ohne Uniform gegen die eigene Diskriminierung und für Gleichberechtigung eintritt.

Inklusion als Konsens

Damit stehe ich auf der Seite, von der ich glaube, dass sie die Mehrheit darstellt, und für die der verbindende Konsens von Community, Pride und CSD größtmögliche Inklusion ist. Klar war, dass man Rechtspopulisten, die offen gegen eine gesellschaftliche Normalität für Homo- und Bisexualität und geschlechtliche Vielfalt wetterten, auf den CSDs möglichst wenig oder keine Bühne bieten wollte.

Foto: flickr Nutzer Quinn Dombrowski/CC BY-SA 2.0

Alle anderen, die in der Vergangenheit LGBTIQ* das Leben schwer machten, zeigen sich nur zaghaft auf den Pride-Events. Wer entscheidet aber, wenn sie doch dabei sein wollen? Dürfen die katholische Kirche und die Bundeswehr auf einem Pride-Demonstrationszug mitfahren? Dürfen Weltkonzerne, die zwar hierzulande LGBTIQ*-Mitarbeiternetzwerke unterhalten und artig die Regenbogenflagge hissen, in anderen Ländern aber homophobe Personalpolitik betreiben, auf CSDs als Sponsoren und Werbepartner sichtbar sein? Wenn ja, dürften diejenigen, die das anders sehen, dagegen wiederum demonstrieren und dadurch den geordneten Verlauf der Pride-Demo stören? Dürften sich Klimaschützer*innen auf der Straße festkleben, um gegen die Diesel-Lkw des Umzuges zu protestieren?

Diese und andere Fragen werden am Beispiel der CSD-Veranstaltungen und anderswo zu beantworten sein. Das wird nicht ohne Debatten verlaufen, bei denen alle Augen trocken bleiben. So ist das aber nun mal in der Mitte der Gesellschaft.

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