ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Ich gebe zu überrascht gewesen zu sein, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal Polizisten mit eigenem Stand auf einem CSD bemerkte.

Denn Infostände von Indianern, Matrosen, Bauarbeitern und Cowboys waren nirgends zu sehen.

Es konnte sich deshalb also keinesfalls um eine Wiederaufnahme der Village People handeln – sondern um echte Polizei!

Schon längst gehört nun der Pavillon des Verbandes lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol) auf vielen Großstadt-CSDs zum gewohnten Bild.

Und in elf Bundesländern gibt es bei der Polizei bereits Ansprechpartner*innen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (AgL). Sie können die Strafanzeigen von Opfern LGBT*IQ-feindlicher Straftaten aufnehmen, Erstberatung geben und vermitteln nötigenfalls weiterführende Hilfe.

Foto: flickr User/CC BY ND 2.0

Die Einrichtung solcher Institutionen bei den Strafverfolgungsbehörden und die Stärkung LGBT*IQ-sensibler Polizeibediensteter sind insofern bedeutend, als dass Polizei und Justiz über den größten Teil des Bestehens der Bundesrepublik männliche Homosexualität verfolgten und queeres Leben damit insgesamt unterdrückten.

Vor wenigen Wochen wäre Wolfgang Lauinger 100 Jahre alt geworden. Wir wollen nicht vergessen, dass es dem Rechtsstaat selbst im vergangenen Jahr noch nicht gelungen war, diesen Menschen, der selbst wegen des Paragraphen 175 im Gefängnis gesessen hatte und der bis ins höchste Alter mit aller Kraft für die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Unrechtsparagraphen 175 eingetreten war, vor seinem Tod zu rehabilitieren und für seine Untersuchungshaft zu entschädigen.

Es ist also noch keineswegs Gras über die jahrzehntelange Homosexuellenverfolgung im demokratischen Deutschland gewachsen. Viele Männer, die in jenen Jahren in schwulen Lokalen unterwegs waren, sind auch heute noch alarmiert, wenn im Rahmen einer an sich harmlosen Gaststättenkontrolle des Ordnungsamtes an einer Szene-Bar Polizei vorfährt und unvermittelt die Ausweise der Besucher*innen kontrolliert.  

Die Gängelungen durch die Polizei von damals sind nicht vergessen, genauso wenig wie ihr Wegsehen während der Zeit des sogenannten Schwulenklatschens, als homosexuelle Männer an ihren Treffpunkten gezielt Opfer von brutaler Gewalt wurden.

Übrigens ein Phänomen, das derzeit nicht nur aber besonders in der selbsterklärten Schwulenhauptstadt Berlin eine nicht wegzudiskutierende Renaissance erlebt.   

LGBT*IQ-Feindlichkeit ist in unserer Gesellschaft also keinesfalls verschwunden.

Dort, wo sich Gras anschickt über diese Tatsache wachsen zu wollen, muss es also kurz gehalten werden, an manchen Stellen sogar ausgerupft werden, damit der Grund darunter wieder sichtbar werden kann.

Eine gärtnerische Aufgabe, die nicht nur von der Betroffenen-Generation sondern auch von den Nachgeborenen ausgeübt werden sollte.

Beispielsweise so, wie es Van-Tien Hoang mit seinem in diesem Jahr fertig gestellten Dokumentarfilm Das Ende des Schweigens über die Schwulenverfolgung im Frankfurt der frühen 50er Jahre ins Werk gesetzt hat.

Fast mag es einem unglaubwürdig vorkommen, dass die Szenen gewalttätiger Polizisten von damals und die tanzender Polizisten auf einem europäischen Christopher-Street-Day gerade einmal 50 Jahre auseinander liegen.

Foto: flickr User Stacie DaPonte/CC BY-SA 2.0

Umso bemerkenswerter ist es also, dass im Jahr 2018 lesbische, schwule und transidente Menschen Polizeibedienstete sind und dass ihre Behörden darüber hinaus die Möglichkeit schaffen, dass Polizeibeamt*innen dort an den Schnittstellen von LGBT*IQ-Communities und Polizei als Ansprechpartner*innen unterstützen können.

Denn auch für die Polizei liegt die Zeit, als sie für den Vollzug des Menschenverfolgungsparagraphen 175 StGB zuständig war, formal noch nicht einmal 25 Jahre zurück.

Deshalb ist es nicht überraschend, dass es auch heute noch fünf Landespolizeien gibt, in denen für die Einrichtung von polizeilichen Ansprechpartner*innen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (AgL) kein Bedarf gesehen wird.

Nämlich Bayern, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. Bis zum vergangenen Monat zählte auch das Land Schleswig-Holstein dazu.

Dem Bundesverband der Lesben und Schwulen in der Union war es zuletzt jedoch als Ergebnis ihrer Briefaktion im Rahmen ihrer Kampagne Nein zu Hassgewalt – keine Toleranz mit Intoleranten gelungen im nördlichsten Bundesland ebenfalls ein Pilotprojekt für die Benennung von AgL zu initiieren.

Eine der bedeutendsten Aufgaben aller dieser Ansprechpartner*innen bei der Polizei ist die Verbesserung des Anzeigenverhaltens nach LGBT*IQ-feindlichen Straftaten. Denn es ist wichtig, dass im Bereich der Hasskriminalität das sogenannte Hellfeld größer wird.

Das heißt, dass so viele der tatsächlich stattfindenden Straftaten wie möglich auch zur Anzeige gebracht werden.

Denn viele Lesben, Schwule und Trans* verzichten nach einem Übergriff auf den Kontakt zur Polizei und eine Anzeige. Aus unterschiedlichen Gründen: Scham, Sorge vor mangelnder Diskretion und Zwangsouting oder die Angst nicht ernst genommen zu werden sind darunter sicherlich die häufigsten.

Die Polizei-AgL können hier Beistand bei der Anzeigenaufnahme leisten. Ein Angebot, dass nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, wie die Erfahrung der Autorin dieser Zeilen zeigt:

Als ich mich nämlich vor einigen Jahren nach einem sexuellen Übergriff auf mich und der weiteren Nachstellung durch den Täter mit Mühe und Not auf ein Polizeirevier flüchtete und dort im Rahmen der Strafanzeige darum bat, dass die Straftat als transfeindlicher Übergriff dokumentiert werden möge, entgegnete mir der Beamte platt: „Warum? Der hat sie doch gemocht.“  

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