ZWISCHEN DEN ZEILEN

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„Der Mensch ist kein Tier, weil er weiß, dass er eins ist“, erklärte der Philosoph Hegel vor 200 Jahren die Trennlinie zwischen Mensch und Tier.

Unabhängig von der Frage des Bewusstseins ist unser Erbgut tatsächlich zu 90 % mit dem des Schweins identisch. Die praktische Trennlinie liegt hier in der Tatsache, dass die einen die anderen fressen. Umgekehrt ist es fast nie.

Mit der Taufliege haben wir immerhin auch 60 % gemeinsame Gene. Mit dem Hefepilz beschämende 30 %.

Was den Mensch in Wahrheit von allen anderen Lebewesen abgrenzt, sind Intelligenz, Kreativität und die Fürsorge für andere Menschen.

Nichts davon ist brauchbar, wenn man einem Säbelzahntiger gegenübersteht. Aber alle drei Fähigkeiten sind wichtig, um als Menschen zusammenleben zu können.

Elfi König hat über drei Jahrzehnten gezeigt, was Menschlichkeit bedeutet, indem sie mit HIV infizierte und an AIDS erkrankte Menschen betreut hat. Das ist vor allem deshalb besonders, weil sie es in einer Zeit getan hat, als das Stigma von HIV und AIDS noch weitaus größer war, als es heute leider immer noch ist. Dafür hat Elfi selbst Ausgrenzung hinnehmen müssen aber trotzdem weiter gemacht.

Foto: bjö

Für diese Selbstlosigkeit hat ihr die Bundesrepublik Deutschland nun das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Wem auch sonst, wenn nicht solchen Menschen?

Kernkompetenzen der Menschheit

Intelligenz, Kreativität und Fürsorge sind beim Menschen also das, was man in der modernen Business-Welt die Kernkompetenzen nennt. Sie sind unser evolutionärer Wettbewerbsvorteil, der dafür sorgt, dass wir uns nicht von Aas und Fallobst ernähren müssen, dass es in unserem Leben auch noch andere schöne Dinge außer Fressen und Geschlechtsakt gibt und dass benachteiligte, alte oder kranke Menschen nicht zurück gelassen werden.

Persönlichkeiten wie die frischgebackene Bundesverdienstkreuzträgerin Elfie König stehen als Individuen dafür. Die AIDS-Hilfe, die Rainbow Refugees, queere Gewaltschutzprojekte, ehrenamtliche Trans*berater_innen, und lesbische Informationsstellen beweisen gleichsam als organsierte Gruppen, dass Fürsorge allen Menschen gemein ist. Auch LGBT*IQ.

Inwieweit Intelligenz im Alltag den Menschen als Krone der Schöpfung adelt, darüber scheiden sich die Geister. So genügt eine halbe Stunde im Frankfurter Feierabendverkehr, um zu erkennen, wie dünn der zivilisatorische Firnis ist, der uns von dem Wesen trennt, das sich vor über 3 Millionen Jahren im großen afrikanischen Grabenbruch in den aufrechten Stand erhob.

Und wer regelmäßig beobachten muss, wie auf einen Rollator angewiesene Senior*innen um achtlos mitten auf dem Gehweg abgestellte E-Scooter herum manövrieren müssen, der wendet sich dann doch lieber dem herrlichen Affen und dem cleveren Delfin zu.

Queere Menschen sind auch hier keine Ausnahme.

Im Gegenteil: Es gibt schwule Männer, die beim Aufbau eines IKEA-Regals den Begriff des Homo Faber (der Mensch als Handwerker) aus der anthropologischen Philosophie grundsätzlich in Frage stellen.

Zugegebenermaßen machen sie auch bei aller doppelten Linkshändigkeit dabei noch immer eine tadellose Figur.

100 Prozent Mensch

Denn das können wir mit vollem Stolz behaupten: In Bezug auf Ästhetik und Kreativität sind wir schon ziemlich gut. Man muss nicht lange nachdenken, bis einem schwule und lesbische Künstler*innen einfallen, die unsere Kultur in Vergangenheit und Gegenwart unvergleichlich geprägt haben.

Denn wir waren, sind und werden immer Teil der Kultur sein. Mit eben diesem Selbstbewusstsein befasst sich die Ausstellung WE ARE PART OF CULTURE, die das baden-württembergische Projekt 100 % Mensch im Herbst 2017 präsentierte. Sie zeigt, welchen prägenden Beitrag zur kulturellen Entwicklung von Europa LGBT*IQ von der Antike bis heute geleistet haben.

Foto: Norbert Egdorf

Denn noch immer fehlen manchen queeren Menschen die Rollenvorbilder und Identifikationsfiguren – obwohl sie schon immer da waren.

Die Kernkompetenzen Intelligenz, Kreativität und Fürsorge besitzen wir als queere Menschen also nachweislich. Wofür wir aber immer noch streiten müssen, benennt das Projekt 100 % Mensch in der Unterzeile seines Logos:

Liebe, Recht, Respekt.

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