ZWISCHEN DEN ZEILEN

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„Es ist wie es ist“, lautet eine landläufige Floskel. Dabei stimmt das gar nicht. Die Dinge ändern sich und wir uns auch. Selbstvervollkommnung sei der Naturberuf des Menschen, verkündeten einmal die Humanisten.

Soweit muss man nicht gehen. Unzweifelhaft lohnend ist aber sicherlich ein gesundes Maß an Selbstreflektion und Selbstverwirklichung. Voraussetzung dafür ist jedoch, sich selbst und den eigenen Lebensentwurf gelegentlich zu hinterfragen.

Für die allermeisten LGBT*IQ ist diese Selbst-Evaluation im Rahmen des inneren und äußeren Coming-Out-Prozesses unausweichlich. Das ist nicht leicht. War es nicht und wird es wohl auch nie sein.

Gleichzeitig ist es aber gewissermaßen eine Pflicht-Chance. Denn die Mehrheit der hetero-  und cis-Personen kommt gar nicht in die Verlegenheit, sich selbst fragen zu müssen, ob man wirklich so leben möchte wie man lebt. Wenn die dann feststellen, dass Lesben, Schwule und Trans* aber so leben, dann kann das ein Gefühl der Unzufriedenheit erzeugen.

Der Nollendorfblog-Autor Johannes Kram vermutete neulich im Gespräch mit mir, dass es auch Homophobie geben würde, wenn es gar keine Schwulen und Lesben gäbe. Der größte Teil der Homophobie sei in Wahrheit Heterofrustration.

Ich fürchte die These hat einen wahren Kern.

„Manche Dinge ändern sich nie“,…

…könnte man verzweifeln, wenn man liest, dass das zuständige Bundesministerium die Arbeit an einem zeitgemäßen Transsexuellengesetz bis zum Ende der Legislaturperiode offenbar nicht mehr weiter verfolgt.

Das bisherige Transsexuellengesetz (TSG) stammt aus dem Jahr 1981 und ist nach dem Stand der heutigen Wissenschaft längst überholt. Denn darin ist für die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag ein Gerichtsverfahren vorgesehen, für die die Antragsteller*innen oft mehrere tausend Euro teure psychotherapeutische Gutachten vorlegen und aus eigener Tasche bezahlen müssen. Allerdings hat die Wissenschaft längst festgestellt, dass sich die Geschlechtsidentität überhaupt nicht diagnostizieren und begutachten lässt. Die Fragestellungen der Gutachter*innen sind deshalb häufig ein beliebiges Stochern im Nebel, dringen in intimste Lebensbereiche ein und werden von den Menschen als demütigend empfunden.

Die Trans*Community drängt deshalb vor allem auf die Abschaffung der Begutachtungspflicht und fordert dafür gesetzliche Regelungen, die allein die Selbstauskunft der Menschen über ihre Geschlechtsidentität vorsehen.

Obwohl bereits gute Entwurfsvarianten für ein modernes Selbstbestimmungsgesetz als Ersatz für das veraltete Transsexuellengesetz vorliegen, die gut auch mit den viel progressiveren Regelungen zahlreicher anderer europäischer Staaten mithalten könnten, versuchte sich das Bundesjustizministerium an eigenem.

Und scheiterte damit.

Denn im vorgelegten Referentenentwurf wurde die Überprüfung durch Mediziner*innen nicht grundsätzlich gestrichen, dafür erfand man die Befragung der Ehepartner von Antragsteller*innen hinzu. Offenbar hatte man sich im Ministerium Beifall für die Vorlage erwartet. Stattdessen ernteten sie zu Recht einhelligen Widerspruch aus der Trans* Community und haben die Arbeit an der Reform des Transsexuellengesetzes seither eingestellt.

„Einiges ändert sich doch schneller, als man denkt“,…

Foto: flickr Nutzer Chris Sloan/CC BY 2.0

…kam mir in den Sinn, als ich neulich die Anekdote über eine Trans*Frau hörte, die mit einer Mutter und ihrem kleinen Kind im Aufzug des Hamburger Universitätsklinikum fuhr, wo regelmäßig geschlechtsangleichende Behandlungen durchgeführt werden.

„Bist du ein Mann?“ fragte das Kind.

„Aber nicht mehr lang“, antwortete die Frau.

Beim Aussteigen wünschte sie der Mutter des Kindes dann noch „viel Spaß beim Erklären.“

Grundsätzlich gilt also wohl doch das Axiom des Literatur-Nobelpreisträgers Bob Dylan: „The times they are a-changin‘.“

Nur wann und wie, wissen wir halt nicht.

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