St. Petersburg: Nicht ohne unsere Kinder! Elternliebe kennt keine Grenzen

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Aileen Pinkert war im Rahmen des städtepartnerschaftlichen Austausches zwischen der queeren Szene Hamburgs und St. Petersburgs vor Ort und berichtet emotional über die Lebenswirklichkeit von Lesben, Schwulen und deren Angehörigen. 

Foto: Andre Roksen/CCO Public Domain

Mit ruhiger Stimme erzählt Tatjana von ihrem Zusammenbruch. Psychisch erkrankt war sie. Arztbesuche halfen nicht, weil sie nicht über die Ursache ihres Grams sprechen konnte. Sie glaubte, ihre mit einem Mann verheiratete Tochter wäre glücklich. Als sie ihr vor zwei Jahren eröffnete, dass sie Frauen liebt, war die Mutter geschockt – nicht, weil sie kein Verständnis hatte, sondern weil sie Angst um sich und das Wohl ihres Kindes hatte. In ihrer verzweifelten Suche nach einer sicheren Anlaufstelle ist Tatjana ein Jahr später im Internet auf den Elternklub der St. Petersburger Initiative „Coming Out“ gestoßen. Dort treffen sich regelmäßig vor allem Mütter von LGBT*I-Kindern, um sich miteinander auszutauschen und als Ansprechpartnerinnen für queere Jugendliche zu fungieren. „Nach der kostenlosen Beratung und meinem Beitritt in den Elternklub war ich wieder bei Kräften. Das hat kein Arzt geschafft“, sagt sie dankbar, ihre Augen strahlen.

Foto: Aileen Pinkert

Neben ihr sitzt Nina, eine der Gründerinnen des Elternklubs. Ihr Sohn ist einer der bekanntesten schwulen Aktivisten Russlands. Stolz zeigen die vier Mütter Fotos von Demonstrationen und vom Rainbowflash, an dem sie in der Vergangenheit teilgenommen haben – immer mit dem Bewusstsein, dass sie als Feindbilder einer homophoben Politik dafür festgenommen werden können.

Foto: Aileen Pinkert

Regierungspartei „Einiges Russland“ schürt Ängste

Im aktuellen Russland von der Normativität abzuweichen, ist für die meisten gleichbedeutend mit einem Leben im Versteck. Dass diese mutigen Mütter sich als Teil der Community begreifen, sich bedingungs- und schonungslos aus ihrem eigenen Sicherheitsbereich begeben, um sich den Ängsten und Gefahren, die ihren Kindern drohen, bewusst auszusetzen, hat mich zutiefst bewegt.

Als Mitglied der Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg habe ich im vergangenen November an dem vom LSVD Hamburg e. V. organisierten Städteaustausch mit St. Petersburg teilgenommen, und diese Begegnung war definitiv ein Höhepunkt für mich!

Foto: Christian Fricke

In jeder Organisation, die wir besuchten, beeindruckte uns das hohe politische Engagement der Aktivistinnen und Aktivisten. Leider, so scheint es, braucht es für solch einen starken und ausdauernden Willen wohl eine repressive Politik, wie derzeit auch in den USA zu beobachten ist. Klar kämpfen auch wir in Deutschland immer noch gegen Diskriminierung, die Situation in Russland ist aber eine gänzlich andere. Die Lage für die LGBT*I-Community verschlechtert sich zunehmend, das Gesetz gegen sogenannte „homosexuelle Propaganda“ verbietet die öffentliche Darstellung von Homosexualität. (Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist hier nicht Geschlechtsverkehr auf dem Roten Platz mit Schauspielern oder Handpuppen, strafbar ist z. B. bereits ein öffentlich gezeigtes Poster mit der Aufschrift „Es ist normal, schwul zu sein“. Das Gesetz verbietet bereits z. B. im Beisein Minderjähriger das Verbreiten von Informationen über nichttraditionelle sexuelle Beziehungen.) Die Regierungspartei Einiges Russland setzt auf familiäre Werte – dazu gehört seit Neustem auch, mit Minderjährigen gar nicht mehr über Sexualität zu sprechen, HIV und Aids zu leugnen und häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder zu legitimieren. Die einem heteronormativen Familienideal konträr gegenüberstehenden Minderheiten werden zu gesellschaftlichen Feindbildern degradiert. Selbst wer keine Vorbehalte gegenüber queeren Menschen hat, wird sich aus Angst vor Strafverfolgung hüten, seine Meinung öffentlich kundzutun.

Foto: Aileen Pinkert

Foto: Side by Side

Sichtbarkeit ist wichtiger denn je

Trotz der prekären Situation hat sich eine queere Szene in den russischen Großstädten erhalten. Unverzichtbarer Bestandteil der russischen LGBT*I-Community ist das Side-by-Side-Filmfestival, auf dem sich unter anderem auch der Elternklub gründete. Unbeeindruckt von massiven Spendenkürzungen und Bombendrohungen organisiert Manny de Guerre zusammen mit ihrem Team einmal im Jahr ein internationales queeres Filmfestival, das mit seiner Film- und Gästeauswahl glänzt und – fast noch wichtiger – eine Diskussionskultur mit lokalen Organisationen und dem Publikum fördert. „Trotz all der Schwierigkeiten besuchen mehr und mehr Menschen, queer und heterosexuell, unsere Veranstaltungen und unterstützen uns ehrenamtlich.“ Für Manny steht außer Frage, dass „die Leute in einer anderen Gesellschaft leben wollen und sich an diesem Kampf beteiligen!“

Foto: Aileen Pinkert

Dass es uns in Deutschland besser geht, bezweifle ich nicht, und dennoch dürfen wir uns nie in Sicherheit wähnen. Nach unserem Besuch in St. Petersburg fühle ich mich mehr denn je verpflichtet, selbst sichtbar zu sein und mich vor allem für unsere russischen Freundinnen und Freunde weiter gegen Diskriminierung und für die gleichen Rechte aller einzusetzen.

*Aileen Pinkert

INFO

17.5., Rainbowflash des LSVD Hamburg auf dem Hamburger Rathausmarkt, http://hamburg.lsvd.de/

17. – 22.10., Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg, www.lsf-hamburg.de

Side-by-Side-Filmfestival Moskau, www.bok-o-bok.ru

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