Mit Schlägen durch die Straßen gejagt

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Wenige Stunden, nachdem die Polizei eine geplante LGBTIQ*-Veranstaltung wegen Sicherheitsbedenken verboten hatte, wurden Aktivist*innen der globalen Antikorruptionsgruppe Transparency International von einer Gruppe Hooligans angegriffen und verfolgt.

Der Angriff ereignete sich am 18. März nach einem Treffen von Menschenrechtsaktivist*innen in den Büros der bosnischen Niederlassung der globalen Antikorruptionsgruppe Transparency International in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska. Das Treffen war organisiert worden, nachdem eine für den 19. März geplante Veranstaltung in Banja Luka von der örtlichen Polizei wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden war.

Laut den Schilderungen der Opfer haben ein paar Dutzend Männer darauf gewartet, dass sie das Bürogebäude verlassen, um sie dann unter Beleidigungen und Schlägen regelrecht durch die Straßen zu jagen. Mehrere Menschen wurden leicht verletzt, eine Person benötigte medizinische Hilfe. 

Polizeibeamte wurden von den Opfern beschuldigt, die Angriffe nicht verhindert zu haben. Die Polizei von Banja Luka sagte, die Verfolgten wären zur Polizeiwache eskortiert worden, um ihre Aussagen aufzunehmen. Nach den Tätern werde noch gesucht. 

Homophobe Proteste gegen Filmvorführung

Bei der verbotenen Veranstaltung handelte es sich um eine Filmvorführung mit LGBTIQ*-Bezug und anschließender Podiumsdiskussion, die von mehreren Menschenrechtsgruppen aus ganz Bosnien organisiert wurde. In den Wochen davor hatte allein nur die Ankündigung der Veranstaltung starke homophobe Gegenreaktionen ausgelöst.

Quelle: Transparency International Bosna i Hercegovina / www.facebook.com/TIBiH

Entsprechend geht Transparency International in Bosnien Herzegowina (TI BiH) davon aus, dass der Angriff vor dem Büro der Organisation eine direkte Folge von Hassbotschaften bosnisch-serbischer Politiker*innen ist, die darauf abzielen, Menschenrechtsaktivist*innen zu stigmatisieren und einzuschüchtern. Hassrede habe die organisierte Gruppe von Hooligans erst dazu angestiftet, Gewalt auszuüben.

TI BiH forderte in einem öffentlichen Statement, dass diese und alle anderen Angriffe, die davor stattgefunden haben, so schnell wie möglich untersucht und streng sanktioniert werden, und dass die Bürger geschützt werden. Die Behörden in der Republika Srpska forderte die Organisation auf,

„die gezielte Aufwiegelung der Öffentlichkeit gegen Aktivisten, Journalisten und die Zivilgesellschaft einzustellen, um neue Angriffe und eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern“.

Hass und Hetze von ganz oben

Bosnien und Herzegowina genießt seit Dezember 2022 offiziell den Status als als Beitrittskandidat der Europäischen Union. Auch wenn das Land nach wie vor sehr konservativ ist, lassen sich kleine Fortschritte beim Abbau von Diskriminierung beobachten. Im Herbst letzten Jahres veröffentlichte Bosnien und Herzegowina zudem seine allererste Strategie zur Verbesserung der Rechte und Freiheiten von LGBTIQ* im Land (männer* berichtete), im April 2022 hat ein Gericht in Sarajevo erstmals in der Geschichte von Bosnien und Herzegowina Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität anerkannt (männer* berichtete). Seit 2019 wird in Sarajevo jährlich eine Pride-Parade organisiert, die meist ohne nennenswerte Zwischenfälle verläuft, da unter Polizeischutz.

Foto: Nangka Press / Hans Lucas / Hans Lucas via AFP

Im Nachbarland Serbien hingegen wurde die Europride-Parade in der Hauptstadt Belgrad 2022 wegen angekündigter Gegenproteste von rechtsextremen Gruppen verboten. Ein ähnliches Klima herrscht in der von Serben geführten Republika Srpska. Homophobe Hetze geschieht hier auf höchster Regierungsebene. Etwa von Milorad Dodik, der sagte, nicht die Aktivist*innen würden belästigt, sondern LGBTIQ*-Personen seien „Belästler“ und er hoffe, dass die „offiziellen Stellen sie daran hindern würden, sich sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien zu versammeln”. Milorad Dodik ist nicht irgendein Politiker, seit 2022 ist er Präsident der Republika Srpska.

Der Bürgermeister von Banja Luka, Drasko Stanivukovic, verurteilte nicht die Ausschreitungen, sondern die Veranstaltung. Die Community solle sich auf Bosniens multiethnische Hauptstadt Sarajevo beschränken, so Stanivukovic, weil die bosnischen Serben

„patriarchalische, traditionelle Familien schätzen und sich über unseren Glauben und unsere Identität im Klaren sind“.

„Worte haben Folgen“

Die EU, westliche Botschaften und internationale Organisationen verurteilen seit langem die von der Regierung geschaffene Atmosphäre der Gewalt in der Republika Srpska, in der vor allem Journalist*innen und Aktivist*innen zur Zielscheibe werden. 

„Worte haben Folgen“, twitterte die EU-Mission in Bosnien nach der Attacke auf die Aktivist*innen von Transparency International und fügte hinzu, dass regelmäßige verbale Angriffe bosnisch-serbischer Politiker gegen Akteure der Zivilgesellschaft „ein Klima schaffen, in dem körperliche Angriffe folgen können“.

Der britische Botschafter in Bosnien, Julian Reilly, stimmte in einem Tweet zu, dass der „schockierende Angriff auf zivilgesellschaftliche Aktivisten […] die wahren Auswirkungen von Hassreden gezeigt habe“.

Quelle: https://twitter.com/JulianReillyUK

Bald russische Verhältnisse?

Seit dem Vorfall am 18. März ist die Regierung sogar noch einen Schritt weitergegangen. Am 23. März wurde ein Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs der Republika Srpska (RS) angenommen, das darauf ausgelegt ist, ‚Verleumdung‘ und ‚Beleidigung‘ zu kriminalisieren. Damit erhalten die Behörden der Republika Srpska weitreichende Befugnisse zur Einschränkung der Pressefreiheit und der Rechte eines jeden Bürgers, sich öffentlich zu äußern.

Die UN-Sonderberichterstatter für den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und des Rechts auf friedliche Versammlung forderte die Behörden der Republika Srpska noch vor der Abstimmung dringend dazu auf, die geplanten Änderungen des Strafgesetzbuchs der RS nicht umzusetzen. Die willkürliche Auslegung zahlreicher Bestimmungen könnte dazu dienen, die Meinungs- und Pressefreiheit zu unterdrücken, so die Analyse der UN-Berichterstatter in einem veröffentlichten Schreiben

Darauf Rücksicht genommen hat die Regierung der Republika Srpska selbstverständlich nicht. Und so bleibt dem Westen nur, die Gesetzesänderung zu verurteilen. Peter Stano, Sprecher der EU-Kommission für auswärtige Angelegenheiten, schrieb auf Twitter, die Abstimmung über die Änderungen des Strafgesetzbuchs der RS sei

„ein eindeutiger Schritt in die falsche Richtung. Es stellt das strategische Engagement der Regierungsparteien für den EU-Beitritt in Frage. Die EU fordert die entsprechenden Stellen auf, die Änderungen zurückzuziehen und den Schutz der Meinungs- und Medienfreiheit zu gewährleisten.“

Quelle: www.twitter.com/ExtSpoxEU

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