Schweiz: Coming-out von Basketballer Marco Lehmann

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Der Dominoeffekt ist längst nicht mehr zu leugnen: Immer mehr schwule Spitzensportler fassen sich ein Herz und outen sich öffentlich, ermutigt durch die positiven Reaktionen auf die Coming-outs ihrer Vorgänger. So auch Basketballprofi Marco Lehmann: Der Schweizer wurde durch das Outing eines Landsmannes in diesem Schritt bestärkt – Schwinger Curdin Orlik outete sich 2020 (wir berichteten).

„Als schwuler Spitzensportler wirst du ein guter Lügner.“

So lautet die Schlagzeile des Artikels im Schweizer Tages-Anzeiger, mit dem Lehmann sein Coming-out wagt. Er erzählt darin von seinen zwei Leben und ihren Widersprüchen: Dem privaten Leben, in dem er längst geoutet war – und seinem Sportlerleben, in dem er nie ganz er selbst sein konnte.


Keine öffentlichen Küsse, kein Händchenhalten

Mit 20 Jahren stellt der heute 27-Jährige seinen Eltern seinen ersten Freund vor. Kein Problem. Auf dem Spielfeld dafür umso mehr: Nach einem Sieg gibt es für seinen Freund keinen Kuss, Lehmann klatscht ihn stattdessen ab. Außerdem ein Tabu für Lehmann: Händchenhaltend durch die Stadt laufen. Der Grund? Eine große Angst sitzt ihm im Nacken:

„Wenn mich wegen meines Schwulseins kein Club mehr will, ist meine Karriere vorbei“.

Jahrelang verstellt er sich. Niemand in der Mannschaft weiß Bescheid: Weder Trainer, noch Klub-Präsident, nicht einmal der beste Kumpel. Zu einer Topskorer-Gala nimmt er seine Eltern mit, nicht seinen Freund. Bei Fragen nach einer Freundin erzählte er immer, er sei mit dem Sport verheiratet und hätte keine Zeit für anderes. Als schwuler Spitzensportler lerne man gut zu lügen, betont er.


„Die sollen sich umbringen“

Als er endlich so weit war, sich seinen engsten Teamkameraden anzuvertrauen, macht Lehmann eine schlimme Erfahrung, die ihn in seinem Vorhaben um Jahre zurückwirft. Bei einer Fahrt zu einem Auswärtsspiel hört er, wie sich Mitspieler unterhalten – einer von ihnen sagt, Schwule sollten sich umbringen.

Ende 2019 geht es Lehmann mit seiner Lebenssituation so schlecht, dass ihm beim Gedanken an Basketball der kalte Schweiß ausbricht. Er ist sich heute sicher: 2020 hätte er nicht spielen können. Doch es kommt sowieso alles anders: Durch Corona wird die Meisterschaft abgesagt, Lehmanns Liebe zum Basketball kann sich erholen. Im Herbst schafft er die Auswahl ins Schweizer Team für die verkürzte 3x3-Meisterschaft, die vom Basketball-Weltverband angekündigt wurde.

Der studierte Landschaftsarchitekt Lehmann spielt seit 2016 in der Nationalliga A: Bei seinem Verein Swiss Central Basket galt er als Leistungsträger. Der starke Distanzwerfer war in den Saisons 2016/17 und 2017/18 der beste Korbschütze der Liga. 2019 wechselte er zu Fribourg Olympic, der Vertrag lief im selben Jahr aus. 


Gemeinsam stärker: Orlik und Lehmann in Kontakt

Dass Lehmann nun mit 27 Jahren und während seiner aktiven Karriere den Schritt wagt, daran hat einer erheblichen Anteil: Curdin Orlik, der erste Spitzensportler der Schweiz, der sich letztes Jahr öffentlichkeitswirkam outete. Lehmann nahm Kontakt zu ihm auf. Dem Tagesanzeiger erzählt er:

„Er versteht mich und meine Lage wirklich. Man kann das nur verstehen, wenn man selber Spitzensport betreibt.“


Aktivist*innen hoffen auf weitere Outings

Die Schweizer Organisation Pink Cross, die schwule und bisexuelle Männer unterstützt, hofft, dass Orlik und Lehmann eine Kehrtwende im Schweizer Spitzensport eingeleitet haben. Co-Präsident Michel Rudin erklärte im Tages-Anzeiger seine Hoffnung, dass sich nun weitere Spitzensportler*innen ermutigt fühlen:

„Das ist gewaltig und könnte den Dominoeffekt verstärken, der momentan in der Schweiz zu spüren ist.“

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