Schweiz: Nationalrat will homophobe Hassverbrechen erfassen

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Obwohl der Bundesrat empfohlen hatte, den Antrag abzulehnen, stimmte der Schweizer Nationalrat mit einer knappen Mehrheit von 97 zu 94 Stimmen dafür, homo-, bi-, trans- und interfeindliche Hassverbrechen zukünftig erfassen und statistisch auswerten zu lassen. Für queere Verbände kommt diese Entscheidung einem Meilenstein gleich. 

Im Vorfeld hatte der Bundesrat argumentiert, dass die statistische Erfassung von Hassverbrechen in die Zuständigkeit der Kantone falle. Da diese das Tatmotiv nur auf freiwilliger Basis angeben, sei eine qualitative Auswertung der Daten nicht möglich.

Trotzdem haben die Parlamentarier entschieden, den Antrag von Rosmarie Quadranti von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) anzunehmen und den Bundesrat damit zu beauftragen, „Hate Crimes aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck oder Geschlechtsmerkmalen“ statistisch zu erfassen. Der Antrag muss nun noch vom Ständerat, der zweiten Kammer des Schweizer Parlaments, angenommen werden.

Hate Crime als strukturelles Problem

Attacken gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten sind keine Einzelfälle, sondern finden regelmäßig statt. In der Schweiz kommt es pro Woche zu durchschnittlich zwei homo-, bi-, trans- und interfeindlich motivierten Übergriffen. Das ist die Bilanz eines Berichts, den LGBTIQ*-Organisationen im Rahmen des Projekts „Hate Crimes“ erstellt haben. Der vollständige Bericht kann HIER eingesehen werden.

Wie der Bericht darüber hinaus offenlegt, ist die Dunkelziffer sehr viel höher anzusetzen. In über 80 % der Vorfälle erfolgt keine Meldung an die Polizei, entweder weil die Opfer der Polizei nicht vertrauen oder weil sie glauben, die Tat sei strafrechtlich nicht relevant.

Deutschland hinkt weiter hinterher

Foto: Landeshauptstadt München/ RAW

Auch in Deutschland stehen homophobe Übergriffe an der Tagesordnung. Erst kürzlich kam es auf dem Münchner Oktoberfest zu homophober und sexueller Gewalt gegen zwei junge Männer (blu berichtete). 

Trauriger Höhepunkt homophober Hassverbrechen stellt der Mord an einem Homosexuellen im vergangenen Jahr in Sachsen dar. Im April 2018 wurde der 27-jährige Christopher W. in der Kleinstadt Aue im Erzgebirge brutal zu Tode geprügelt. Einer der Täter soll zum späteren Opfer gesagt haben: „Wenn du mich noch einmal anschwulst, steche ich dir eine Flasche in den Hals“ (Quelle). Das Landgericht Chemnitz verhängte zwar lange Haftstrafen gegen die Täter, auf das mögliche Tatmotiv Homophobie gingen aber weder die vorsitzende Richterin noch der Staatsanwalt im Prozessverlauf ein. In der offiziellen Statistik wird der Mord an Christopher W. unter ‚politisch motivierter Kriminalität Rechts‘ gelistet (Quelle).

Aktuell gibt es mehrere parlamentarische und außerparlamentarische Initiativen, die eine bundesweit einheitliche Erfassung von und Strategie gegen die spürbar ansteigende Gewalt gegen sexuelle Minderheiten (blu berichtete) zum Ziel haben. 


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