Selbstbestimmungsgesetz, Bürger*innenversicherung und diskriminierungsfreie Altenhilfe: Sven Lehman im Interview

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Die Industrienation Deutschland erscheint den meisten Menschen auf der Welt wie ein Paradies. Auch wenn man 2021 hierzulande weiterhin Probleme wie Armut, soziale Gerechtigkeit und Gesundheitsversorgung thematisiert und politisch vertritt, liegt doch noch einiges im Argen. Sven Lehmann sitzt seit vier Jahren für Die Grünen im Bundestag und gibt uns einige Antworten auf Fragen, die sich unsere Community unbedingt stellen sollte.

Hallo, Herr Lehmann, der Aktionsplan für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit ist in aller Munde. Gibt es hier auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von LSBTIQ*?

Die soziale und gesundheitliche Situation von LSBTI* in Deutschland ist besorgniserregend. Das hat die Bundesregierung auf meine Große Anfrage hin bestätigt – und trotzdem tut sie nichts dagegen.

An vorderster Stelle gehört für mich die Forderung nach einer gesundheitlichen Versorgung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen.

In unserem Aktionsplan schlagen wir Grüne viele Maßnahmen vor, die explizit darauf abzielen, die gesundheitliche Versorgung von LSBTI* zu verbessern. An vorderster Stelle gehört für mich die Forderung nach einer gesundheitlichen Versorgung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen, die ihre Selbstbestimmung in den Vordergrund rückt und auf ihre tatsächlichen Bedürfnisse eingeht.

Darüber hinaus beinhaltet der Aktionsplan weitere wichtige Maßnahmen, wie beispielsweise die Stärkung der Aufklärungsarbeit über HIV und aktuelle Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten bei Ärzt*innen, um Stigmatisierung vorzubeugen.

Außerdem wollen wir, dass das Bundesgesundheitsministerium regelmäßig einen Bericht zur gesundheitlichen Lage von LSBTI* in Deutschland erstellt, der künftig als konkrete Handlungsanleitung für eine LSBTI*-sensible Gesundheitsversorgung dienen soll.

Wie sieht es im Pflegebereich aus?

Auch da ist es unglaublich wichtig, die besonderen Interessen und Bedürfnisse von LSBTI* ausreichend zu berücksichtigen. An diese Gruppe von älteren LSBTI* wird selten gedacht, obwohl gerade sie für uns alle viele Freiheiten erkämpft haben.

Wir wollen Modellprojekte fördern, die durch selbstbestimmtes und gemeinschaftliches Wohnen die Teilhabe von älteren LSBTI* stärken.

Und genau deswegen müssen wir dafür sorgen, dass sie im Alter vor jeder Gefahr von Ausgrenzung, Anfeindung und Diskriminierung in allen Bereichen der Altenhilfe und Senior*innenarbeit geschützt werden. Konkret wollen wir Modellprojekte fördern, die durch selbstbestimmtes und gemeinschaftliches Wohnen die Teilhabe von älteren LSBTI* stärken.

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Ein weiteres Thema im grünen Parteiprogramm ist die Reform der Versicherungsstruktur: Stichwort Bürger*innenversicherung. Könnten Sie die Idee kurz erklären?

Es geht darum, Solidarität, Gerechtigkeit und nicht zuletzt Qualität für alle im Gesundheits- und Pflegesystem sicherzustellen. Mit der Bürger*innenversicherung für Gesundheit und Pflege wollen wir schrittweise alle in die Finanzierung eines leistungsstarken und solidarischen Versicherungssystems miteinbeziehen.

Alle Bürger*innen sollen unabhängig von ihrem Einkommen verlässlich abgesichert sein und qualitativ hochwertig versorgt werden.

Alle bedeutet: Auch Beamte, Selbständige oder Abgeordnete. Damit wollen wir uns von dem bestehenden Zwei-Klassen-System wegbewegen, von dem wenige zum Nachteil vieler profitieren. Alle Bürger*innen sollen unabhängig von ihrem Einkommen verlässlich abgesichert sein und qualitativ hochwertig versorgt werden.

Welche Vorteile hätten die Bürger*innen von einer solchen Reform?

Eine solidarische Bürger*innenversicherung sorgt dafür, dass künftig alle Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel die gesundheitliche Versorgung bekommen, die sie brauchen. So muss niemand bei Krankheit oder im Alter unbezahlbare Beiträge befürchten, wie dies jetzt häufig bei privat Versicherten der Fall ist.

Unnötige Behandlungen bei privat Versicherten gehören dann ebenso der Vergangenheit an, wie eine schlechtere Versorgung von gesetzlich Versicherten.

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Außerdem wird durch die Bürger*innenversicherung ein solides zukunftsfähiges Gesundheitssystem ermöglicht, das mit den höheren Kosten durch medizinischen Fortschritt und den demografischen Wandel Tritt halten kann.

Thema Selbstbestimmungsgesetz. Wie realistisch ist es in Ihren Augen, dass eine grüne Regierung die geforderten Änderungen durchsetzen kann?

Bei der kürzlichen Abstimmung im Bundestag über unser Selbstbestimmungsgesetz haben CDU/CSU massiv blockiert und die SPD hat sich dem Koalitionszwang gebeugt – obwohl eine Neuregelung des TSG im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbart war. Aber auch die Enthaltung der FDP beim grünen Selbstbestimmungsgesetz hat uns sehr enttäuscht.

In jedem Fall haben für uns Grüne die Abschaffung des TSG und ein neues Selbstbestimmungsgesetz eine sehr hohe Priorität.

Nach der Bundestagswahl hoffe ich auf neue Mehrheiten. In jedem Fall haben für uns Grüne die Abschaffung des TSG und ein neues Selbstbestimmungsgesetz eine sehr hohe Priorität. Ich und meine Partei werden alles dafür tun, dass dieses menschenrechtsverletzende Gesetz endlich und

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