Sam Vance-Law: „Man kann hier anders sein“

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Foto: Alexander Coggin

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Er spricht ganz ausgezeichnet Deutsch. Das zeigt sich beim Interview im Konferenzraum seiner Berliner Plattenfirma binnen weniger Minuten. „Ich wohne seit zwölf Jahren in Berlin und setzte es mir zum Ziel, schnellstmöglich Deutsch zu lernen“, sagt der Kanadier. „Außerdem habe ich jetzt einen deutschen Freundeskreis.“

Sam Vance-Law begeisterte sich bei seiner allerersten Reise nach Berlin sofort für diese Metropole. „Eigentlich wollte ich nur meinen Kumpel für eine Woche besuchen“, erzählt er. „Doch dann bin ich einfach geblieben.“ Die ersten beiden Nächte verbrachte er in einem besetzten Haus in der Rigaer Straße. Da er aus Paris kam, war er High-Fashion-mäßig gekleidet. Die Punks störte das indes nicht. „Sie boten mir ein Bier an und hingen mit mir ab“, erinnert sich der Musiker. „Da habe ich gemerkt: Man kann hier anders sein – und das ist gut so.“

In Berlin fand Sam Vance-Law als Schwuler alsbald seine Community, er bekam einen Plattenvertrag und veröffentlichte 2018 sein Debütalbum „Homotobia“. In seinen Songs griff der 34-Jährige die Geschichten anderer auf, er beschäftigte sich mit unterschiedlichen Facetten des homosexuellen Lebens. Sein zweiter Langspieler „Goodbye“ ist dagegen autobiografisch – die Stücke kreisen um eine Trennung. Das hebt sie auf eine andere Ebene, denn Liebeskummer ist ja universell. Das sieht Sam Vance-Law zwar genauso, trotzdem ist es ihm ein Anliegen, das Queersein immer wieder zu thematisieren. „In Berlin oder anderen Großstädten muss man sicher nicht mehr darüber reden“, gibt er zu. „Doch in den meisten Teilen dieser Welt würde ich wegen meiner Sexualität im Gefängnis sitzen, geächtet sein oder sogar getötet werden.“ So etwas ist für ihn natürlich inakzeptabel: „Ich wünschte, ich könnte einfach lieben, wen ich liebe.“

Foto: @alexandercoggin

Ein glückliches Händchen bei der Partnerwahl scheint Sam Vance-Law allerdings nicht unbedingt zu haben, diesen Eindruck vermitteln zumindest seine neuen Songs. „Icarus“ handelt davon, dass sein Ex sehr freiheitsliebend war. Eben kein Beziehungsmensch. Diese Erkenntnis wird mit schwelgerischer Musik unterlegt, inklusive Bläsern und Streichern. Ist das Kammerpop par excellence? „Ich weigere mich, meine Musik selber zu klassifizieren“, erklärt Sam Vance-Law. Immerhin räumt er ein, dass ihn klassische Werke, mit denen er als Chorknabe in Oxford aufwuchs, bis heute beeinflussen: „Ich kenne mich mit der Oboe viel besser aus als mit der Gitarre.“

Im Endergebnis ist der Singer-Songwriter musikalisch durchaus recht breit aufgestellt. Während „Get Out“ als Pop mit Indie-Vibes daherkommt, lehnt sich die puristische Klavierballade „Blissful Times“ eher an das traditionelle englische Volkslied an. „Too Soon“ driftet dank des Saxofons und des Fingerschnippens zum Jazz ab. Ist das Sam Vance-Laws heimliche Leidenschaft? „Ich höre selten Musik. Also auch keinen Jazz.“ Stattdessen zieht er Stille vor: „Wenn ich den ganzen Tag mit meinen Ohren gearbeitet habe, möchte ich danach ein bisschen Ruhe haben.“

Aus der Großstadthektik zog sich Sam Vance-Law auch zurück, während er an seinem aktuellen Album tüftelte. Die meisten Lieder schrieb er in den schottischen Highlands, dort konnte er ungestört komponieren und texten, ohne großartige Ablenkungen. Er machte lediglich Wanderungen, ansonsten widmete er sich seinen Stücken: „Um mich herum waren Schnee, Regen, Kälte, Depression – das war perfekt für meine Platte.“ *Dagmar Leischow

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