Die Einführung eines Gesetzentwurfs durch das georgische Parlament, der bestimmte nichtstaatliche Gruppen und Medien verpflichtet, sich als „Organisationen im Dienste einer ausländischen Macht“ zu registrieren, bedroht die Grundrechte im Land, warnt Human Rights Watch.
Das Gesetz, über das seit Mitte April 2024 debattiert wird, hat scharfe Kritik von Georgiens bilateralen und internationalen Partnern hervorgerufen und zu einigen der größten friedlichen Proteste im Land in den letzten Jahrzehnten geführt. Es gab mehrere glaubwürdige Berichte über Gewalt seitens der Polizei, um die Proteste aufzulösen.
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Foto: Vano Shlamov / AFP
Polizeibeamte stehen Wache. Es soll zu zahlreichen Übergriffen auf Demonstrierende gekommen sein.
„Georgische Parlamentarier und Regierungsbeamte verteidigen den Gesetzentwurf offiziell als Mittel zur Förderung der Transparenz, machen aber keinen Hehl daraus, was damit bezweckt werden soll“, sagte Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch.
„Indem sie unabhängige Gruppen und Medien als Interessenvertreter ausländischer Interessen bezeichnen, wollen sie kritische Stimmen im Land, die für jede funktionierende Demokratie von grundlegender Bedeutung sind, an den Rand drängen und unterdrücken.“
Der Gesetzentwurf hat bereits zwei Lesungen durchlaufen und soll in dieser Woche endgültig verabschiedet werden. Human Rights Watch fordert das georgische Parlament dazu auf, das Gesetz in seiner letzten Lesung abzulehnen. Die Regierung sollte sicherstellen, dass die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit geachtet werden und dass alle Vorwürfe der übermäßigen Anwendung von Polizeigewalt wirksam untersucht werden, so die Organisation weiter.
„Organisationen im Dienste einer ausländischen Macht“
Der Gesetzentwurf ist nahezu identisch mit einem Gesetzesentwurf, den das georgische Parlament 2023 verabschieden wollte, aber nach Massenprotesten zurückzog. In der neuen Fassung ersetzte die Regierungspartei „Georgischer Traum“ den Begriff „Agenten ausländischer Einflussnahme“ durch „Organisationen, die den Interessen einer ausländischen Macht dienen“.
Wie Human Rights Watch berichtet, sieht der Gesetzentwurf vor, dass nichtstaatliche Gruppen sowie Print-, Online- und Rundfunkmedien, die 20 Prozent oder mehr ihrer jährlichen Einnahmen von einer „ausländischen Macht“ erhalten – entweder als finanzielle Unterstützung oder in Form von Sachleistungen –, sich beim Justizministerium als „Organisationen im Dienste einer ausländischen Macht“ registrieren lassen müssen. Wird der Gesetzentwurf verabschiedet, bedeutet das zusätzliche doppelte Berichtspflichten, Inspektionen und verwaltungsrechtliche Auflagen, einschließlich Geldstrafen für Verstöße von bis zu rund 8.624 Euro.
Die georgische Gesetzgebung schreibt bereits vor, dass NGOs Zuschüsse bei den Steuerbehörden anmelden und dabei auch die Höhe und Dauer der Projekte angeben müssen, um in den Genuss bestimmter Steuerbefreiungen zu kommen. Außerdem müssen sie monatliche Finanzberichte vorlegen, die Informationen über die Anzahl der Mitarbeiter*innen und Dienstleistungsverträge sowie die gezahlte Einkommenssteuer enthalten. Medienunternehmen legen der Regulierungskommission für das Kommunikationswesen ebenfalls monatliche Berichte über ihre Einnahmen und Ausgaben vor. Alle Informationen, die die nichtstaatlichen Gruppen und Medienunternehmen einreichen, sind öffentlich und können von jedermann angefordert werden.
Was bezweckt das Gesetz?
Die Initiatoren des Gesetzentwurfs und die Führer der Regierungspartei haben in öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht, dass sie beabsichtigen, das Gesetz gegen Gruppen und Medien einzusetzen, die die Regierung kritisieren, sich für die Rechte von LGBTIQ* einsetzen oder sich auf andere Weise betätigen, die die Behörden irritieren.
Ministerpräsident Irakli Kobachidse begründete die Notwendigkeit des Gesetzes mit Initiativen, die die Behörden kritisieren oder die Politik der Regierung infrage stellen, und behauptete, einige zivilgesellschaftliche Gruppen hätten 2020 und 2022 versucht, „eine Revolution zu organisieren“, „LGBT-Propaganda zu betreiben“ und „die Polizei, die Justiz und die georgisch-orthodoxe Kirche zu diskreditieren“.
Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ hat das Gesetz inmitten anderer Bemühungen zur Einschränkung von Rechten im Vorfeld der für Oktober angesetzten Parlamentswahlen eingebracht. Ende März brachte die Regierungspartei einen weiteren Gesetzentwurf ein, der die Rechte von LGBT-Personen einschränken und unter anderem „Versammlungen, die darauf abzielen, gleichgeschlechtliche Familien- oder Intimbeziehungen bekannt zu machen, sowie die Nichtverwendung geschlechtsspezifischer Begriffe“ verbieten würde.
Bidzina Iwanischwili, Expremier, Oligarch und Gründer des Georgischen Traums, lenkt die georgische Regierungspolitik unverhohlen in Richtung Moskau. In einer öffentlichen Rede am 29. April sagte er, dass die Regierungspartei mit der Einführung des „Transparenzgesetzes“ die politische Opposition im Vorfeld der Parlamentswahlen ausschalten wolle. Er versprach auch, die „Nationale Bewegung“ zu bestrafen, die Oppositionspartei, die Georgien von 2003 bis 2012 unter Michail Saakischwili regierte. Iwanischwili griff auch die politische Opposition und zivilgesellschaftliche Gruppen in Georgien an, indem er letztere pauschal als „heimatlos“ bezeichnete und Ausländer*innen beschuldigte, die politische Opposition durch „undurchsichtige NGO-Finanzierung“ an die Macht bringen zu wollen.
Die Befürworter*innen des Gesetzentwurfs behaupten fälschlicherweise, dass der Gesetzentwurf dem US-Gesetz zur Registrierung ausländischer Agenten ähnelt. Das US-Gesetz setzt jedoch den Erhalt ausländischer Gelder, ganz oder teilweise, nicht damit gleich, dass man unter der Leitung und Kontrolle eines ausländischen Auftraggebers steht. Es regelt in erster Linie Lobbyisten und dient nicht als Mechanismus zur Schwächung von Organisationen der Zivilgesellschaft und Medien, so Human Rights Watch. Auch Russland nutzt dieses Argument der falschen Gleichwertigkeit, um seine drakonischen und missbräuchlichen Gesetze zu rechtfertigen.
Massenproteste gegen das geplante Gesetz
Zehntausende von Menschen haben in den letzten Wochen in Tiflis und mehreren anderen Städten kontinuierlich gegen das Gesetz protestiert. Bei besonders großen Demonstrationen vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis setzte die Polizei mehrfach Tränengas, Wasserwerfer und Pfefferspray ein, um die überwiegend gewaltlosen Demonstranten zu vertreiben, so auch in der Nacht zum 30. April, dem Vorabend der zweiten Lesung des Gesetzes. Es gab glaubwürdige Berichte über den Einsatz von Gummigeschossen und Pfefferspray durch die Polizei mindestens einmal in der Nacht zum 1. Mai.
Der Gesetzentwurf, die Polizeigewalt und die Festnahmen lösten in Georgien sowie bei multilateralen Organisationen und Georgiens internationalen Partnern Besorgnis und Kritik aus. In einer öffentlichen Erklärung erklärte der georgische Ombudsmann für Menschenrechte, dass es keinen Grund für die Polizei gegeben habe, Pfefferspray einzusetzen, um die Demonstrierenden am Eingang des Parlaments auseinanderzutreiben, und dass die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ohne angemessene Vorwarnung oder Begründung eingesetzt habe, da „die Kundgebung einen friedlichen Charakter hatte und es keinen Grund gab, sie zu beenden ....“. In einer Erklärung von 10 georgischen zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden die georgischen Behörden aufgefordert, „Fälle von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Ordnungskräfte“ in dieser Nacht zu untersuchen.
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Foto: Vano Shlamov / AFP
Trotz Warnungen vor Verhaftungen demonstrierten mehrere tausend Georgier*innen am 12. Mai in Tiflis erneut gegen das Gesetz über „ausländische Agenten“. Am Morgen des 13. Mai harrten immer noch Tausende vor dem Parlament in Tiflis aus.
Vereinte Nationen üben Kritik
In einer Erklärung vom 2. Mai forderte der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Turk, die georgischen Behörden auf, „sofortige und transparente Untersuchungen aller Misshandlungsvorwürfe durchzuführen“ und forderte die georgischen Behörden auf, das Gesetz zurückzuziehen, das „eine ernsthafte Bedrohung für das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit darstellt“.
Am 16. April forderten Joseph Borrell, Leiter der Außenpolitik der Europäischen Union, und Olivér Várhelyi, EU-Erweiterungskommissar, die georgischen Behörden auf, das Gesetz zurückzuziehen, da es im Falle seiner Verabschiedung „negative Auswirkungen“ auf die EU-Kandidatur Georgiens haben würde. Am 1. Mai verurteilte Borrell die Gewalt gegen Demonstranten.
In einem Schreiben an den Vorsitzenden des georgischen Parlaments forderte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Michael O'Flaherty, das Parlament auf, den Gesetzesentwurf nicht zu verabschieden, da er im Falle seiner Verabschiedung „wahrscheinlich zu einer Stigmatisierung und Diskreditierung der Organisationen der Zivilgesellschaft führen würde“.
Der Gesetzentwurf ist unvereinbar mit den rechtlichen Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, denen Georgien beigetreten ist. Während bestimmte Einschränkungen der Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit nach internationalem Recht zulässig sind, geht der vorgeschlagene Gesetzentwurf weit über jeden legitimen Eingriff in diese Rechte hinaus, so Human Rights Watch.
„Das Gesetz über ausländische Einflussnahme verstößt gegen die Grundrechte und die georgischen Behörden sollten es fallen lassen“, sagte Hugh Williamson. „Sie sollten auch umgehend und effektiv die Vorwürfe der Polizeigewalt untersuchen und das Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung schützen.