Mehr als 1.400 Personen der finnischen Musikindustrie haben eine Petition unterzeichnet, in der sie den Ausschluss Israels vom Eurovision Song Contest (ESC) fordern. Isländische Musiker*innen hatten schon im Dezember dazu aufgerufen, den ESC zu boykottieren, sollte Israel die Teilnahme nicht verboten werden.
Die mehr als 1.400 finnischen Musiker*innen, die die Petition unterzeichnet haben, sehen die Art und Weise, wie der israelische Militäreinsatz in Gaza geführt wird, nicht mit den Werten des ESC vereinbar. In der Petition werfen die Musiker*innen Israel Kriegsverbrechen in Gaza vor und betonen, es sei unangemessen, dass das Land den ESC zur Imageverbesserung nutzen dürfe.
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Foto: Ahmad Gharabli / AFP
ISRAEL-PALESTINIAN-CONFLICT-HOSTAGES
Während einer Kundgebung in Tel Aviv halten Angehörige und Unterstützer Plakate mit den Porträts der israelischen Geiseln, die im Gazastreifen festgehalten werden, hoch (30. Dezember 2023).
Am 7. Oktober gelang es der Hamas und anderen Organisationen, die Mauer, die den Gaza-Streifen von Israel trennt, zu überwinden und grenznahe Militärposten, Kibbuzim und ein Trance-Festival zu überfallen. Israelischen Angaben zufolge wurden 1.139 Menschen ermordet und 240 Menschen entführt, die zum größten Teil immer noch in Gaza festgehalten werden. Für Israel ist der Anschlag der tödlichste in der Geschichte des Landes. Weltweit war man über das Ausmaß und die Brutalität des Überfalls schockiert.
Als Reaktion rief der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum ersten Mal seit dem Jom-Kippur-Krieg (1973) den Kriegszustand aus und startete die Militäroperation „Eiserne Schwerter“ (Operation Iron Swords).
Begeht Israel Kriegsverbrechen?
Seit Beginn der Militäraktion am 24. Oktober sind nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 23.350 Menschen durch israelische Bomben- und Raketenangriffe getötet worden – 70 Prozent der Opfer waren Frauen und Kinder. Die Zahlen werden als verlässlich eingestuft und dürften real noch höher liegen, da Verschüttete kaum erreicht werden und eine große Zahl von Menschen unter zerstörten Gebäuden begraben ist.
1,9 Millionen Einwohner*innen des Gazastreifens – etwa 85 Prozent der Bevölkerung – wurden laut UNRWA, der UN-Agentur für palästinensische Flüchtlinge, vertrieben. Außerdem hat Israel die Menge an Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer Versorgung und Treibstoff, die in den Gazastreifen gelangen dürfen, nahezu eingestellt, um Druck auf die Hamas auszuüben. Nach und nach mussten Krankenhäuser ihren Dienst einstellen, Nahrungsmittelvorräte sind mittlerweile zur Gänze erschöpft, Hilfslieferungen kommen nur schwer bis gar nicht bei denen an, die sie am dringendsten benötigen.
Das Famine Review Committee (FRC) der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) veröffentlichte am 21. Dezember 2023 einen Bericht, wonach rund 93 Prozent der Bevölkerung in Gaza – etwa 2,08 Millionen Menschen – unter akuter Ernährungsunsicherheit leiden, über 15 Prozent – 378.000 Menschen – sind bereits mit „katastrophalem Hunger und Hungersnot“ konfrontiert.
![Essensausgabe_Gaza_AFP.jpg Essensausgabe_Gaza_AFP.jpg](https://www.maenner.media/downloads/93207/download/Essensausgabe_Gaza_AFP.jpg?cb=97aaca1820327d317ea39a13cecb15f2&w={width}&h={height})
Foto: Mahmud Hams / AFP
In einem Flüchtlingslager in Rafah im südlichen Gazastreifen hoffen Menschen auf eine warme Mahlzeit (23. Dezember 2023).
Der Krieg in Gaza ist auch für Journalisten der bislang tödlichste Krieg weltweit seit Beginn der Aufzeichnungen. Amnesty International und andere Organisationen berichten von mutmaßlich gezielten Angriffen auf Journalist*innen, die als Kriegsverbrechen untersucht werden müssen. Angaben des Palästinensischen Journalistensyndikats (PJS) zufolge sollen mindestens 96 der 109 Journalist*innen, deren Tod die Organisation mit Stand 8. Januar dokumentiert hat, „absichtlich und gezielt durch chirurgische israelische Angriffe“ ums Leben gekommen sein.
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Reporter ohne Grenzen (RSF) bestätigte, dass bis 23. Dezember mindestens 14 im Gazastreifen tätige Journalist*innen im Rahmen ihrer Arbeit getötet wurden, und erklärte, noch nicht über ausreichende Beweise oder Hinweise zu verfügen, um dies im Hinblick auf alle anderen getöteten Journalisten zu sagen. Damit jeder Tod genau untersucht wird, hat die Organisation Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht.
Welche Werte vertritt der ESC?
„Israel verletzt die Menschenrechte“, erklärte der Musiker und Initiator der finnischen Petition Lukas Korpelainen gegenüber der schwedischsprachigen finnischen Tageszeitung Hufvudstadsbladet und fügte hinzu:
„Wir glauben nicht, dass es in Ordnung ist, dass das Land Eurovision Song Contest teilnimmt, um sein Image aufzupolieren.“
In der Petition fordern die Musiker*innen den finnischen Fernsehsender Yle auf, entweder Druck auf die Organisatoren auszuüben oder den Wettbewerb zu boykottieren, sollte Israel die Teilnahme nicht verweigert werden. Yle sei nach der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 einer der ersten Sender gewesen, der einen Ausschluss Russlands gefordert hätte.
Tatsächlich erklärte Ville Vilén, Direktor für kreative Inhalte und Medien sowie verantwortlicher Chefredakteur des Senders, einen Tag, nachdem Russland in die Ukraine einmarschierte, der Angriff Moskaus stehe „im Widerspruch zu allen Werten, die Yle und andere europäische Sender vertreten“. Kurz darauf untersagte die European Broadcasting Union (EBU) – ein Zusammenschluss von Rundfunkanstalten in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten und Veranstalter des ESC – Russland die Teilnahme (männer* berichtete).
Die Autor*innen der Petition erwarten nun „die gleiche aktive Verteidigung der Werte auch jetzt von Yle“, alles andere sei Doppelmoral. Der Sender sagte, er verfolge die Situation und beobachte die Position der EBU.
Wie politisch darf der Song Contest sein?
Israel nimmt seit 1973 am ESC teil und hat seitdem 46 Beiträge eingereicht. Mit vier Siegen (1978, 1979, 1998, 2018), zwei zweiten Plätzen (1982, 1983) und zwei dritten Plätzen (1991 und 2023) gehört Israel zu den erfolgreichsten Teilnehmern im Wettbewerb.
![EUROVISION-SONG-CONTEST-2018-FINAL EUROVISION-SONG-CONTEST-2018-FINAL](https://www.maenner.media/downloads/93204/download/Netta_Israel_Eurovision-Song-Contest_2018_AFP.jpg?cb=1e0fed75e888cd42ebf883c332765896&w={width}&h={height})
Foto: Pedro Fiuza / NurPhoto / NurPhoto via AFP
EUROVISION-SONG-CONTEST-2018-FINAL
Vor Freude strahlend hält Netta aus Israel die Trophäe hoch, nachdem sie am 12. Mai 2018 in der Altice Arena in Lissabon, Portugal, das große Finale des Eurovision Song Contest 2018 gewonnen hat.
Die israelischen Kandidat*innen für den Eurovision Song Contest werden in einer Casting-Show namens „HaKokhav HaBa – The Next Star“ ausgewählt, die vom israelischen öffentlich-rechtlichen Sender Israeli Public Broadcasting Corporation (IPBC, genannt Kan) in Zusammenarbeit mit dem Privatsender Keshet 12 und Tedy Productions produziert wird.
In einer zehnten Staffel von HaKokhav HaBa sollte auch der Act für den ESC 2024 in Malmö gekürt werden, doch dann kam der 7. Oktober. Die Produktion wurde zunächst auf Anweisung des Heimatfront-Kommandos ausgesetzt, wenig später wieder aufgenommen. Mehrmals wurde der Start verschoben, bevor die Staffel schließlich am 20. November als „Sonderausgabe“ begann, die die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte unterstützen soll. Unter anderem wird Videomaterial der Armee in den Sendungen eingespielt und in der ersten Ausgabe trat die Kandidatin Shay Tamino, die dem Militär angehört, in Uniform auf.
Eurovoix, ein 2011 gegründetes Online-Medium, das über die europäische Musikszene und internationale Songwettbewerbe, insbesondere den ESC berichtet, gab daraufhin bekannt, die Berichterstattung über Israel beim Eurovision Song Contest einzustellen.
„Ein heute von Keshet 12 veröffentlichter Clip, der die erste Folge von ‚HaKokhav HaBa (The Next Star)‘, Israels nationaler Auswahl für den Eurovision Song Contest 2024, bewirbt, hat das Team [...] zutiefst beunruhigt.
In dem Clip, den wir hier nicht veröffentlichen, wird damit geworben, dass die ‚Sonderausgabe‘ Verbindungen und Momente mit Soldaten der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) beinhaltet und dass einige der Juroren und Kandidaten in Soldatenuniformen auftreten werden. Es werden auch Aufnahmen von mobilisierten IDF-Kräften während der Promotion gezeigt.
Eurovoix ist der Ansicht, dass dieser Clip die klare Absicht des israelischen Senders zeigt, das nationale Auswahlverfahren als politisches Instrument zur Förderung militärischer Aktionen zu nutzen. Außerdem setzt die Entscheidung, Teilnehmer und Juroren als Soldaten gekleidet zu zeigen, die Werte der Eurovision mit denen der israelischen Regierung gleich.
Wir bei Eurovoix glauben, dass die Eurovision für Frieden und Harmonie für alle Menschen in Europa und der ganzen Welt steht. Die Nutzung der Eurovision zur direkten Förderung einer militärischen Kampagne, die von der israelischen Regierung unterstützt wird, steht im direkten Widerspruch zu diesen Werten und denen unseres Teams.“
Droht Israel der Ausschluss?
Im Dezember 2023 riefen isländische Musiker*innen zum Boykott des ESC auf, sollte Israel daran teilnehmen dürfen. Die EBU lehnte die Forderungen nach einem Ausschluss Israels jedoch ab und veröffentlichte nach einer Anfrage der belgischen Zeitung Het Laatste Nieuws eine Erklärung.
„Der Eurovision Song Contest ist ein Wettbewerb für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aus ganz Europa und dem Nahen Osten. Es ist ein Wettbewerb für Rundfunkveranstalter – nicht für Regierungen – und der israelische öffentlich-rechtliche Sender nimmt seit 50 Jahren an dem Wettbewerb teil. [...] Der Eurovision Song Contest bleibt eine unpolitische Veranstaltung, die das Publikum weltweit durch Musik vereint.“
Ihre Entscheidung stützte die EBU auf die aktuelle Haltung anderer internationaler Organisationen gegenüber Israel: „Im Moment gibt es eine integrative Haltung gegenüber israelischen Teilnehmern an großen Wettbewerben“, heißt es in der Erklärung, die auch für die finnische Petition zu gelten scheint. Die EBU hat noch kein offizielles Statement veröffentlicht.