Mary, du bist seit Jahren schon ziemlich eng mit der Community verbandelt ...
Ja, beim 20-jährigen und beim 25-jährigen Jubiläum des Schwejk war ich auch schon dabei. Jedes Mal wenn der Chef ein großes Jubiläum feiert kommt die Frau Roos! Ich war in den 70ern eigentlich auch die erste Sängerin, die ein Lied über einen Schwulen geschrieben hat. Es handelt von einem Mädchen, das einen jungen Mann kennenlernt, und es wundert sich immer, warum nie mehr passiert als ein Abendessen. Als sie ihn zu Hause besucht, öffnet er die Tür und sagt „Das ist Jochen“ – er stellt ihr seinem Freund vor. In den 70ern war das eine Sensation! Es gab ja keine geouteten Schwulen, selbst bei uns im Showgeschäft nicht. Damals hieß es: „Das Lied können wir nicht rausbringen“. Und ich habe gesagt: „Doch, genau dieses Lied kommt raus“.
Foto: bjö
Mary Roos und Linda vom Schwejk
Mary Roos und Linda vom Schwejk
Dein Sound hat sich gerade in den vergangenen Jahren sehr geändert ...
Ja, Gott sei Dank! Und die Texte vor allem!
... und du arbeitest mit vielen jungen Musikern zusammen, Johannes Oerding hat zum Beispiel ein Lied auf deinem neuen Album für dich geschrieben. Wie kommt das zustande?
Ich habe eigentlich seit den 80er, 90er Jahren sehr viel Einfluss auf meine Songs genommen. Es war mir nicht mehr so wichtig, weit vorne in den Hitparaden zu stehen, sondern mir war wichtig, dass man mir meine Songs auch abnimmt. Ich bin jetzt 68, und da kann ich ja nicht mehr von Liebe singen! Also, das kann ich schon, aber eben anders! Man muss immer Themen finden, die zu mir passen. Ansonsten würde ich mich ja unglaubwürdig machen. Mit Pe Werner habe ich dieses wunderschöne Stück auf meinem neuen Album gemacht, über die Generation unserer Großmütter, die nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut haben. Das finde ich wichtig!
Siehst du dich noch als Schlagersängerin?
Ich sehe mich als Sängerin, aber ich habe mich noch nie kategorisieren lassen. Sicher bin ich eine Schlagersängerin, weil ich in den 70ern damit groß geworden bin, aber ich habe mich weiterentwickelt. Und das haben viele gar nicht mitbekommen.
Gibt es ein Erlebnis oder eine Initialzündung, die diese Veränderungen gebracht haben?
Das Alter ist die Initialzündung! Das ist ja auch eine Chance! Natürlich gibt es Momente, wo man glücklicher in den Spiegel schaut, aber es ist schon gut, dass ich jetzt weiß, was ich will. Das wusste ich viele Jahre gar nicht! Und was ich will, ändert sich auch immer wieder. Man muss einfach wach bleiben!
Wenn man alt wird, hat man zwei Möglichkeiten – entweder wird man bitter, oder ...
Man wird so wie ich!
Und wie bist du?
Eine schrille Alte! (lacht) Das zu tun, worauf man Lust hat, und überhaupt nicht darüber nachzudenken, ob das jetzt passt oder nicht – das ist schrill! Früher war mir immer sehr wichtig, was andere Leute über mich denken. Vielleicht ist das so, wenn man jung ist. Aber heute sind mir die anderen nicht mehr so wichtig. Solange ich Spaß habe, solange mache ich das noch. Mein Leben ist ja auch endlich, und dann will ich sagen können, ich habe alles gemacht, was ich machen wollte. Ich hab soviel gelebt wie andere vielleicht in drei Leben erleben. Und ich bin immer noch mittendrin! Ich habe eigentlich drei Leben gehabt!
Und die wären?
Das erste war mein sehr angepasstes bürgerliches Leben, was durch meine Eltern kam. Wobei meine Mutter schon anders war; wenn wir die Stadtsparkasse überfallen hätten, hätte sie bestimmt Schmiere gestanden! So eine Mutter zu haben ist schon toll! Mein Vater war das komplette Gegenteil. Von ihm habe ich dieses manchmal sehr moralische, vielleicht langweilige, aber dennoch sehr beständige. Und meine Großmutter war die schrille Alte. Ich habe etwas von allen diesen drei Personen in mir. Die zweite Phase war die Ausprobierphase. Was will man tun? Wo will man hin? Dann heiratet man, kriegt ein Kind. Das war eine Phase, wo man sehr ... wie soll ich das sagen ... Man will alles richtig machen. Man will die Ehe richtig machen, die dann aber trotzdem in die Brüche geht, und man will mit dem Kind alles richtig machen und so weiter. Und dann habe ich gedacht, O.K., das war’s jetzt. Ich hatte sieben Jahre nichts gemacht, und das ist eigentlich tödlich in der Musikszene. Ende der 80er kam Mike Krüger plötzlich auf mich zu, und dann kam Hape (Kerkeling, Anm. d. Red.), und wir haben was für seine Show „Total normal“ gemacht. Und plötzlich bist du wieder mittendrin!
Und jetzt machst du auch noch Comedy: Mit Wolfgang Trepper bist du gerade mit „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ auf Tour.
Ja, aber ich habe in Frankreich in den 70ern ja schon Theater gespielt. Ich bin immer auf der Suche nach etwas neuem.
Was ist wichtiger: Humor oder Liebe?
Beides zusammen ist ideal, aber das gibt’s ja ganz selten. Aber mit Humor lässt sich zumindest sehr viel lösen.
Humor kommt in der Schlagerszene auch nicht so häufig vor?
Das ist nicht nur in der Schlagerszene so. Die Leute nehmen sich ja fast alle viel zu ernst.
Dein neues Album heißt „Ab jetzt nur noch Zugaben“ – was möchte uns die Künstlerin damit sagen?
Na, die Künstlerin will zunächst einmal sagen, dass es natürlich etwas Privilegiertes ist, wenn die Leute „Zugabe“ rufen. Das ist ja nicht immer so. Wenn man anfängt kann man froh sein, wenn die klatschen! (lacht), Na gut, aber das habe ich ja lange hinter mir ...
Es bedeutet also nicht, dass du jetzt aufhörst?
Nein, das heißt es nicht! Es geht einfach darum, die Entscheidung zu treffen, Dinge zu tun, die man tun will, und nicht die, die einem vorgeschrieben werden. Das ist die Erklärung.
Ein sehr selbstbewusster Titel!
Ja! Schon meine Mutter hat immer drauf geachtet, dass ihre Kinder sehr selbstbewusst werden. Wenn ich ein Date hatte, hat sie mir zum Beispiel immer Geld mitgegeben, damit ich mich nicht verpflichtet fühle, irgendetwas zu tun, was ich vielleicht nicht möchte. Und das ist der Schlüssel zum Glücklichwerden: Dass die Eltern die Kinder zu Hause groß werden lassen. Wenn du immer nur gedeckelt wirst und immer das Gefühl hast, du bist nichts Wert, dann wirst du nie ein zufriedener Mensch werden. Es ist ein Glück, dass meine Eltern da anders waren. Und das gebe ich gerne weiter! Ich liebe Menschen. Und ich umarme gerne Menschen, also all das, was andere in dem Job überhaupt nicht machen, das mache ich! Und ich denke immer, egal für welche Liebe man sich entscheidet, wenn sie beidseitig ist, ist sie richtig. Und wenn man glücklich damit wird, auch. Dann ist sie in jedem Fall richtig, ganz egal was irgendwelche Idioten sagen. Das denke ich! Es ist ja im Grunde genommen so einfach! Das Leben ist einfach, wenn man es sich nicht so schwer macht. Ich sage immer: Alles ist wichtig im Leben, aber nichts muss man ernst nehmen. Außer in der Politik.
Interview: Björn Berndt, Markus Pritzlaff