Foto: Thomas Grube
Carpenter
Fans des amerikanischen Organisten Cameron Carpenter wissen, dass sie kein gewöhnliches Orgelkonzert erwartet, wenn der Wahl-Berliner wieder einmal einer Einladung in die Kölner Philharmonie folgt. Carpenter sprengt den Rahmen des Konventionellen nicht nur durch sein ekstatisches Spiel, sondern auch mit seinem Anspruch, jede Performance absolut persönlich und originell zu gestalten. Als Fest für Augen und Ohren gelten seine Auftritte dabei nicht nur aufgrund seiner Vorliebe für ausgefallene Outfits und Haarschnitte, sondern vor allem wegen seiner atemberaubenden Spieltechnik, welche die Grenzen der traditionellen Spielweise sprengt, indem mit derselben Hand teils mehrere Klaviaturen bedient werden und die Füße förmlich auf den Pedaltasten tanzen.
Bereits in jungen Jahren feierte Carpenter als „Wunderkind“ Erfolge. Sein erster Kontakt zur Orgel war visuell: Als ihm ein Foto unter die Augen kam, auf dem ein gutgekleideter Organist eine Kino-Orgel bediente, wurde dem Jungen klar, „dass hier ein unglaubliches Ereignis stattfand“. Der von Carpenter entwickelte revolutionäre Umgang mit der „Königin der Instrumente“ brachte schließlich auch den internationalen Durchbruch. „Revolutionary“ heißt folgerichtig eines seiner Alben, das als erste Orgel-CD überhaupt für den Grammy nominiert wurde.
„Ich liebe jede Art von Musik, und jede Art von Musik ist für die Orgel geeignet“, bringt Carpenter seine weitgefasste, säkular geprägte Auffassung von Orgelmusik auf den Punkt. Eine Brücke vom Barock bis zum 20.Jahrhundert schlägt das Programm, das Carpenter für das Wiedersehen in der Kölner Philharmonie zusammengestellt hat. Der erste Teil des Abends bietet Bach pur. Carpenter („Für mich ist Bachs Musik ein ganz wichtiger Teil meines Lebens“) überzeugte das Kölner Publikum bereits 2016 mit seinem sinnlich-intellektuellen Bach-Spiel. Die Orgelkunst des Thomaskantors zeigt er nun in ihrem Facettenreichtum vom strengen Kontrapunkt der „Kunst der Fuge“ bis zur virtuos-effektvollen Toccata in d-Moll, das wohl bekannteste Orgelwerk europäischer Kunstmusik überhaupt.
Längst hat sich Carpenter nicht nur als Interpret, sondern auch als Komponist sowie als Bearbeiter musikalischer Meisterwerke einen Namen gemacht. In der Kölner Philharmonie gelangte 2011 sein Werk „Der Skandal“ zur Uraufführung. In den Transkriptionen von Orchester- und Klavierwerken für die Orgel geht der Künstler an die Grenzen des technisch Möglichen. Mal orientiert er sich eng am Vorbild, mal entsteht „eine Art ekstatische Version des Originals“, wie er es selbst bezeichnete. Ganz neu im Gepäck hat er nun die 2. Sinfonie seines US-amerikanischen Landsmanns Howard Hanson. Das 1930 in Boston uraufgeführte Orchesterwerk erhielt wegen seiner Ausdruckskraft den Beinamen „Romantische“ und fand später Verwendung als Soundtrack im Science-Fiction-Streifen „Alien“.
Dazu passt das futuristisch anmutende, von Carpenter mitgebrachte Instrument: Seit 2014 hat er seine Vision einer perfekt auf seine Spielweise und seine klanglichen Vorstellungen abgestimmten Orgel in die Tat umgesetzt und reist mit der nach seinen Wünschen entworfenen „International Touring Organ“ um die Welt. Am cockpitartigem Spieltisch ist Carpenter Herr über nicht weniger als fünf Klaviaturen und ein Pedal und entlockt von hier aus 32 spacig illuminierten Lautsprechern und 6 Subwoofern erlesenste Klänge. Ihren Sound liehen dem eine Million Euro teuren Einzelstück herausragende traditionelle Pfeifenorgeln, darunter viele von Carpenters bevorzugten Instrumenten, deren Töne sorgfältig digitalisiert wurden. *Philipp Möller