Dr. Ingo Ochlast vom Praxisteam Friedrichshain in Berlin erläuterte uns im Interview, welche Herausforderungen die moderne HIV-Therapie an Ärzte und Patienten stellt.
Foto: Praxisteam Friedrichshain
Dr. Ingo Ochlast
HIV-Therapien werden heute sehr lange eingenommen. Damit fallen auch langfristige Folgen der Therapie mehr ins Gewicht, welche sind das und welche Bedeutung haben diese?
Dadurch, dass die Medikamente deutlich besser geworden sind, haben wir insgesamt weniger Nebenwirkungen. Die Menschen werden deutlich älter. Das hat zur Folge, dass andere Volkskrankheiten dazu kommen, wie Diabetes, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Für den Behandler wird es komplexer, die Medikamente für diese Leiden mit ihren Wechselwirkungen unter einen Hut zu bringen. Der HIV-Positive lebt zwar insgesamt so lange wie ein HIV-Negativer, dennoch kann das biologische Altern schneller eintreten. Zudem ergibt sich durch neurotrope, also auf das Nervensystem wirkende, Einflüsse einiger Medikamente und durch soziale Einflüsse eine bis zu 50 Prozent höhere Fallzahl von depressiven Erkrankungen.
Erleben Sie es in der Praxis, dass ihre Patienten durch die Therapie ihren Alltag anders leben?
In der Akutphase ist HIV für die meisten Menschen immer noch ein Schock. Zusätzlich kommen oft Probleme in der Partnerschaft oder mit der Libido hinzu. Das kann daran liegen, dass der Testosteronspiegel sinkt. Immer wieder werden Patienten auch therapiemüde und wollen gerne mal eine Woche raus aus dem Alltag und keine Tabletten nehmen. Der Wunsch nach einem „normalen“ Leben spielt hier eine große Rolle.
Wie lassen sich diese „unbemerkten Nebenwirkungen“ vermeiden?
Wir haben in unserer Praxis einen Sozialarbeiter, um proaktiv auf die Patienten zugehen zu können. Die Menschen sprechen nicht unbedingt von sich aus über ihre psychischen Probleme. Und in den 15 Minuten, die du als HIV-Behandler hast, fallen dir psychische Auswirkungen der Therapie oder der Erkrankung unter Umständen gar nicht auf. Deswegen ist ein Sozialpädagoge direkt in der Praxis, der ein niedrigschwelliges Angebot schafft, um diese Probleme zu lösen. Mein Wunsch wäre, dass so etwas zum Beispiel durch das Präventionsgesetz oder andere öffentliche Töpfe finanziert wird. Zurzeit finanziere ich das selbst. Wir sind als HIV-Behandler in der Sekundärprävention und sollten in der Lage sein, mehr zu tun, als nur Tabletten zu geben.
*Interview:Christian Knuth