Foto: Warner Music
Marina
Marina Diamandis plagen gleich mehrere Allergien. Dauernd muss sie niesen und schniefen, sie unterbricht sogar kurzfristig das Gespräch, um sich neue Taschentücher zu holen. Weil sie nicht in Bestform ist, möchte die Sängerin während des Zoom-Interviews die Kamera lieber ausgeschaltet lassen.
Auch ohne Bildübertragung kriegt man allerdings einiges von ihrem Leben in Los Angeles mit. Eigentlich wollte sie dort lediglich ihr fünftes Album „Ancient Dreams in a Modern Land“ aufnehmen und dann wieder nach London zurückkehren, doch während des ersten Lockdowns beschloss die Waliserin, ganz nach Kalifornien zu ziehen. Mit ihrer schwarzen Katze, die sich lautstark bemerkbar macht, nachdem sie aufgewacht ist. Daran ist die 35-Jährige gewöhnt, somit bringt sie das Miauen nicht gleich aus der Fassung. Sie redet völlig gelassen weiter über das Konzept ihres jüngsten Langspielers. Im Grunde sei er in zwei Teile geteilt, sagt sie: „Die erste Hälfte fokussiert sich mehr auf das Sozialkritische, dann kommen die Trennungssongs.“
Zu ihnen zählt zum Beispiel „I Love You, But I Love Me More“. Mit diesem Lied verabschiedet sich Marina, die ihren Künstlernamen Marina and the Diamonds schon mit ihrer letzten Platte „Love + Fear“ abgelegt hat, endgültig von ihrem Exfreund. Es knüpft musikalisch zweifellos mit seinem eingängigen Indie-Pop an das Debüt „The Family Jewels“ an – was im Übrigen für die meisten Nummern gilt. Eine bewusste Entscheidung sei das aber nicht gewesen, hält Marina dagegen: „Wahrscheinlich stellt sich dieser Sound einfach ein, wenn ich alleine schreibe.“
So entstanden Ohrwürmer wie „Purge the Poison“. In dieser Powerpop-Nummer bringt Marina allerlei Themen von Rassismus über Frauenhass, #MeToo, Quarantäne und Mutter Natur bis zu Menschlichkeit aufs Tableau. „Es hat 91 Botschaften“, witzelt sie. „Im Ernst: Dieser Track entstand zu Beginn der Pandemie, also in einer äußerst verwirrenden Zeit. Mein Ziel war es, Schnappschüsse des 21. Jahrhunderts einzufangen.“ Mal erinnert sie daran, wie sich Britney Spears 2007 ihre Haare abrasiert hat. Mal beschwört sie den Harvey-Weinstein-Missbrauchsskandal herauf: „Letztlich wirft dieser Song die Frage auf: Was ist eigentlich Weiblichkeit?“
Die Bedürfnisse der Frauen treiben Marina auch in dem Stück „Man's World“, für dessen Produktion sie sich ein rein weibliches Team zur Seite stellte, um. Da spricht sie mit der Zeile „I don't wanna live in a man's world anymore“ Klartext. „Ich kämpfe jeden Tag gegen das Patriarchat“, erklärt sie. „Meiner Ansicht nach profitieren Männer von Gleichberechtigung nicht weniger als wir Frauen.“ Ginge es nach ihr, dann dürfte sich niemand über andere erheben. Insbesondere die Diskriminierung von Minderheiten wie LGBTIQ*-Bewegung geht ihr gegen den Strich. Nicht umsonst spielt sie in „Man's World“ auf einen Sultan an, der in seinem Land die Todesstrafe für Homosexuelle eingeführt hat. Gemeint ist Hassanal Bolkiah, ihm gehört das Beverly Hills Hotel in Los Angeles. „Wie kann jemand auf der einen Seite ein wunderschönes Hotel besitzen, das bei der queeren Community extrem angesagt ist und auf der anderen Seite homophob sein“, empört sich Marina. „Ich habe gehört, dass dieser Mann in seiner Heimat Schwule zu Tode steinigen lässt.“ Nicht nur für die Künstlerin ist das ein Verstoß gegen die Menschenrechte: „Keiner sollte aufgrund seiner Sexualität verurteilt werden.“ *Dagmar Leischow