Foto: M. Rädel
Kirche
Nach seinem Coming-out im Jahr 2009 verlor der liberal eingestellte Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) in Friedrichshafen nicht nur seine Arbeit, er sah sich auch den Auswirkungen auf seine Familie ausgesetzt. Dennoch gibt er allen versteckt lebenden Homosexuellen nur einen Rat: Oute dich, so früh du kannst!
Sie haben die Initiative „Zwischenraum“ in Friedrichshafen gegründet und bieten damit einen Anlaufpunkt für homosexuelle Christen, die über ihre inneren Konflikte sprechen möchten. Widerspricht sich Homosexualität mit dem christlichen Glauben?
Traditionell wurde seit 1.500 Jahren Homosexualität als Gegensatz zum christlichen Glauben gesehen – zu Unrecht, wie heute die Theologie einräumen muss, wie ich meine. Die wenigen Bibelstellen, die dieses Thema berühren, meinen etwas ganz anderes als das, was wir heute diskutieren. Da geht es um Sexualität, die andere kaputt macht, aber nicht um die Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen.
Ich hatte jahrelang ausgehend von der traditionellen Auslegung unter meiner Homosexualität gelitten. Mein Glauben nahm Schaden, weil ich mich von Gott im Stich gelassen fühlte. Warum heilte er mich nicht? Heute weiß ich warum: Weil an mir alles völlig in Ordnung ist. Seit ich das zutiefst erkannt habe, ist mein Vertrauen zu meinem Gott tiefer und intensiver geworden. Er hat mich als Schwulen geschaffen, so wollte und will er mich. Jetzt bin ich gerne schwul – und bekennender Christ.
Sie sagen: „Nicht Gott ist homophob, sondern sein Bodenpersonal.“ Wie verhält sich inzwischen der Kontakt zu Ihrer früheren Gemeinde und den Kollegen?
Zu einigen Mitgliedern bestehen noch zum Teil freundschaftliche Kontakte. Sie akzeptieren meinen Weg und finden es gut, dass ich zu mir gefunden habe. Ebenso ist es im Kollegenkreis. Es gibt viele Kollegen, die eine sehr offene Haltung zu Homosexualität und zu mir haben. Grundsätzlich bewegt sich etwas bei den Freikirchen, zwar langsam, aber doch unaufhaltsam. Ich selbst gehöre jetzt einer Gemeinde meiner Kirche an, in der Homosexuelle ausdrücklich willkommen sind. Allerdings gibt es zurzeit sicher keine Baptistengemeinde, die einen schwulen Pastor anstellen würde.
Sie haben Ihren inneren Frieden nach diesem sehr intensiven Coming-out gefunden. Führen Sie eine Partnerschaft und wenn ja, ist es für Sie normal Ihren Freund in der Öffentlichkeit zu küssen?
Ich habe einen Partner, bin frisch verliebt. Für mich ist es normal, ihn auch in der Öffentlichkeit zu küssen, wie es jedes Hetero-Paar auch tut, weil homo genauso normal ist wie hetero. Das tun wir auch in der ziemlich kleinen schwäbischen Stadt, in der er wohnt. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob das o. k. ist. Ich habe nicht einmal nachgedacht, ob ich darüber nachdenken sollte – es ist normal für mich. Ich denke, wenn es für uns Schwule und Lesben nicht normal ist, wie soll es dann jemals in der Gesellschaft als normal empfunden werden?
*Interview: Markus Pritzlaff